Quelle: HBS
Böckler ImpulsÖffentliche Aufträge: Vorgaben gegen Lohndumping
Die Mehrheit der deutschen Bundesländer bindet die Vergabe öffentlicher Aufträge an eine Lohnuntergrenze. Das ist auch nach Einführung des allgemeinen gesetzlichen Mindestlohns sinnvoll, so das WSI.
12 von 16 Bundesländern haben Vergabegesetze mit Lohnuntergrenzen. Öffentliche Aufträge dürfen dort nur an Unternehmen gehen, die ihren Beschäftigten einen bestimmten Mindestlohn oder mehr zahlen. Acht Länder geben derzeit mindestens 8,50 Euro pro Stunde vor, vier Länder gehen darüber hinaus. Vergabe-Mindestlöhne, die zu den so genannten Tariftreueregelungen zählen und auch in einigen anderen europäischen Ländern existieren, sind populär: Laut einer Umfrage der EU-Kommission halten es 88 Prozent der EU-Bürger für richtig, wenn der Staat seine Aufträge nicht einfach an den billigsten Anbieter vergibt, sondern auf soziale Aspekte achtet.
„Mit ihren Regelungen zählten die betreffenden Bundesländer zu den Vorreitern auf dem Weg zum allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn“, sagt WSI-Tarifexperte Thorsten Schulten. Der Forscher weist aber auch darauf hin, dass sich Vergabe-Mindestlöhne nach dem Januar 2015 nicht erledigt haben werden. Ihre Zielsetzung gehe schließlich über die Förderung existenzsichernder Löhne hinaus, zu der der allgemeine Mindestlohn beitragen soll. Erreicht werden solle vor allem „die Herstellung einer fairen Wettbewerbsordnung, die die Lohnkostenkonkurrenz bei der Vergabe öffentlicher Aufträge begrenzt“.
Dahinter steht nach Schultens Analyse die Erkenntnis, dass gerade die öffentliche Hand mit ihrer hohen Nachfrage und bindenden Vergaberichtlinien einen schädlichen Lohndruck ausüben und sogar das Tarifsystem empfindlich schwächen kann, wenn sie bei Aufträgen nur nach dem Preis geht. Die sozialen Folgekosten fielen dann auf den Staat zurück, etwa über Unterstützungszahlungen an „Aufstocker“, die mit ihrer Arbeit nicht genug zum Leben verdienen.
Vergabe-Mindestlöhne sollten dabei nicht nur den Unterbietungswettbewerb unter privaten Auftragnehmern, sondern auch zwischen privaten und öffentlichen Anbietern begrenzen. Das schrieben die Vergabegesetze von Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein der Lohnuntergrenze explizit als Aufgabe zu: Sie solle dazu beitragen, „dass sich die öffentliche Hand nicht durch Auslagerung von Aufgaben auf private Auftragnehmer ihrer Verantwortung für eine angemessene Vergütung der Beschäftigten entziehen kann“, zitiert Schulten. Dementsprechend hätten beide Länder die unterste Tarifgruppe aus dem Tarifvertrag der Länder als Orientierungsgröße für ihren Vergabe-Mindestlohn vorgesehen und lägen damit über 8,50 Euro.
Allerdings ist die „Renaissance der Tariftreueregelungen“, die der WSI-Experte zuletzt beobachtet hat, nicht unangefochten. Einen Unsicherheitsfaktor stellt vor allem die Auslegung des europäischen Rechts dar. Kürzlich hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) entschieden, dass Nachunternehmer im Ausland, die einen öffentlichen Auftrag von ihrer deutschen Unternehmensmutter weitergereicht bekommen, nicht an den Vergabe-Mindestlohn gebunden sind. Geklagt hatte die Bundesdruckerei. Sie hatte sich um einen Auftrag zur Aktendigitalisierung beworben, den sie von ihrer polnischen Tochter ausführen lassen wollte. Ob Vergabe-Mindestlöhne für Beschäftigte ausländischer Unternehmen dann gelten, wenn sie nicht in ihrem Heimatland, sondern in Deutschland einen öffentlichen Auftrag erledigen, darüber hat der EuGH bislang nicht geurteilt. Eine Klage dazu liegt vor.
Doch selbst wenn der Gerichtshof auch in dieser Frage europarechtliche Bedenken anmelden sollte, müsse das nicht das Ende vergabespezifischer Mindestlöhne bedeuten, betont Schulten. So halte das Bremer Vergabegesetz bereits eine Auffanglösung bereit. Sie sieht vor, dass die Mindestlohnvorgabe dann ausgesetzt wird, „wenn der Auftrag für Wirtschaftsteilnehmer aus anderen Mitgliedsstaaten von Bedeutung ist“. Damit tue sich zwar eine Lücke auf. Da aber bislang lediglich zwei bis drei Prozent aller Vergabeverfahren mit ausländischer Beteiligung ablaufen, sei sie noch zu verschmerzen. Ebenfalls in Bremen sieht der WSI-Forscher ein weiteres Zeichen dafür, dass Vergabe-Mindestlöhne eine Zukunft haben: Der Stadtstaat hat seinen Mindestlohn zum 1. Oktober auf 8,80 Euro erhöht. Andere Bundesländer diskutierten ebenfalls über Anpassungen.
Thorsten Schulten: Warum landesspezifische Mindestlohnvorgaben im Vergabegesetz trotz allgemeinem Mindestlohn eine Zukunft haben könnten, in: Euroforum Vergaberecht, Newsletter, Ausgabe 2/2014