Quelle: HBS
Böckler ImpulsGrundsicherung: Von Arbeitslosenhilfe zu ALG II: Die Folgen der Umstellung
Was wurde aus den Arbeitslosenhilfeempfängern? 15 Prozent verschwanden bei der Umstellung auf Hartz IV zunächst aus der Statistik - die meisten von ihnen aufgrund des Systemwechsels.
Die finanziellen Folgen der Hartz-IV-Reform für Langzeitarbeitslose hat das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) empirisch untersucht. Zwischen Ende 2005 und Anfang 2006 hatte das Institut 20.000 ehemalige Arbeitslosenhilfeempfänger befragt. Die Ergebnisse bestätigen die Trends vieler Simulationsstudien.
Im Dezember 2004 zahlte die Bundesagentur für Arbeit rund zwei Millionen Menschen Arbeitslosenhilfe. Mit der Hartz-IV-Reform haben sich die Anspruchsvoraussetzungen der Unterstützung für Langzeitarbeitslose deutlich verändert. So wurden die Anrechnungsvorschriften für Partnereinkommen strenger gefasst. Die Zahlungen orientieren sich nicht mehr am früheren Verdienst. Das neue ALG II soll Arbeitslosen nur noch eine Grundsicherung bieten. Die IAB-Befragung zeigt die finanziellen Auswirkungen auf die ehemaligen Empfänger von Arbeitslosenhilfe:
Den Anspruch komplett verloren haben insgesamt 15 Prozent der ehemaligen Arbeitslosenhilfebezieher. Darunter sind einige, die kein Geld mehr bekommen, weil sie wieder arbeiten oder in Rente gegangen sind. Die meisten - knapp 11 Prozent oder rund 200.000 Menschen - haben ihre Ansprüche jedoch "mit hoher Wahrscheinlichkeit aufgrund des Systemwechsels" verloren, so das IAB. Jeder Siebte in dieser Gruppe hat das neue Arbeitslosengeld II gar nicht erst beantragt - meistens in der Annahme, nach den neuen Regeln nicht mehr leistungsberechtigt zu sein. Als Gründe nannten die Befragten zu hohe Einkünfte des Partners oder Angst, eigene Ersparnisse und Einkünfte offenlegen zu müssen. Andere befürchteten, auf Druck der Arbeitsagentur aus ihrer Wohnung oder ihrem Haus ausziehen zu müssen.
Frauen und Männer: Frauen verloren ihren Sozialleistungsanspruch fast doppelt so häufig wie Männer. 15 Prozent der vormaligen Bezieherinnen von Arbeitslosenhilfe bekamen trotz anhaltender Arbeitslosigkeit kein ALG II. Bei den Männern lag die Quote unter 8 Prozent. Hier schlägt sich die Anrechnung der Partnereinkommen nieder, so das IAB. ALG-II-Anträge von Frauen werden nach der neuen Rechtslage häufiger abgelehnt, weil der - oft in Vollzeit beschäftigte - Partner zu viel verdient. Arbeitslose Männer bekommen dagegen öfter ALG II, weil ihre Partnerinnen gar nicht oder nur in Teilzeit erwerbstätig sind, weshalb das Paar unter der Bedürftigkeitsschwelle liegt.
Paare und Singles: Paarhaushalte büßten ihren Leistungsanspruch eher ein als Alleinstehende. Über 17 Prozent der Ex-Arbeitslosengeldbezieher in Paarhaushalten bekamen im Januar 2005 kein Geld mehr von der Arbeitsagentur, ebenfalls vor allem wegen der Anrechnung des Partnereinkommens. Dabei gibt es keine nennenswerten Unterschiede zwischen Paaren mit und ohne Kinder. Alleinstehende und Alleinerziehende gingen hingegen nur zu knapp 5 Prozent ihrer Ansprüche verlustig.
Jung und Alt: Ältere zählten überdurchschnittlich oft zu den Verlierern der Reform. 14 Prozent der über 58-jährigen Arbeitslosen bekamen nach Auslaufen der Arbeitslosenhilfe kein ALG II. Bei den unter 50-Jährigen lag die Quote dagegen unter 10 Prozent.
Ein Fünftel der früheren Arbeitslosenhilfebezieher, die nicht nahtlos in den ALG-II-Bezug wechselten, tauchte im Laufe des Jahres 2005 allerdings wieder in der Statistik auf. Das könnte zum Teil daran liegen, dass die Arbeitsagenturen Anträge nicht rechtzeitig bearbeitet haben, vermuten die IAB-Forscher. Zudem dürfte ein Teil der Arbeitslosen erst mit Verspätung ALG II beantragt oder einen ablehnenden Bescheid erhalten haben. Beides könnte auf Erwerbslose mit Ersparnissen zutreffen, die erst einen ALG-II-Anspruch hatten, als ihr Vermögen aufgebraucht war.
Ehemalige Arbeitslosenhilfebezieher, die ihren Anspruch auf Arbeitslosenunterstützung verloren haben, hatten sie im Monat durchschnittlich 441 Euro weniger. Einigen von ihnen dürfte nach dem Wegfall der Arbeitslosenhilfe jedoch Wohngeld zustehen, was einen Teil des Einkommensverlusts ausgleichen würde, so die IAB-Forscher.
ALG II meistens leicht unter früherer Arbeitslosenhilfe
Bei 56 Prozent der Langzeitarbeitslosen war das ALG II 2005 niedriger als die zuvor bezogene Arbeitslosenhilfe. 44 Prozent bekamen mehr als vorher. Das IAB hat auch die durchschnittliche Höhe der Verluste und Gewinne berechnet: Die Verlierer-Haushalte bekamen im Schnitt 150 Euro weniger im Monat, die Gewinner-Haushalte 220 Euro mehr. Zu berücksichtigen ist allerdings, dass viele vor der Reform neben der Arbeitslosenhilfe Wohngeld oder ergänzende Sozialhilfe erhalten haben. Bezieht man diese Sozialleistungen mit ein, dürfte die durchschnittliche Einkommenssteigerung der Gewinner-Gruppe geringer ausfallen, so das IAB.
Im Durchschnitt hat sich das Einkommen der neuerdings ALG II beziehenden Haushalte kaum verändert: Der Einkommensverlust gegenüber 2004 beträgt im Schnitt 16 Euro pro Monat. Offenbar gleichen sich Gewinne und Verluste im Ganzen annähernd aus. Im November 2005 bezogen 80 Prozent der früheren Arbeitslosenhilfe-Haushalte Arbeitslosengeld II. Ihr so genanntes bedarfsgewichtetes Pro-Kopf-Einkommen betrug durchschnittlich 592 Euro. Dieses wird unter Berücksichtigung der Personenzahl im Haushalt berechnet. Haushalte mit Arbeitslosenhilfebezug kamen im Dezember 2004 durchschnittlich auf 608 Euro.
Die IAB-Forscher weisen darauf hin, dass das Einkommen der ALG II beziehenden früheren Arbeitslosenhilfe-Haushalte deutlich unter der vom statistischen Bundesamt berechneten relativen Armutsschwelle lag. Letztere verläuft bei 50 Prozent des mittleren Einkommens, 2005 bei 708 Euro.
Ein weiteres Ergebnis der Studie: Auch diejenigen, die inzwischen einen Job gefunden haben, können oft keine großen Sprünge machen - ein gutes Viertel der Voll- oder Teilzeit-Erwerbstätigen, die Ende 2004 auf Arbeitslosenhilfe angewiesen waren, bezieht zusätzlich zum Arbeitslohn Hartz-IV-Leistungen.
Kerstin Bruckmeier, Daniel Schnitzlein: Was wurde aus den Arbeitslosenhilfeempfängern? IAB Discussion Paper Nr. 24/2007.