Quelle: HBS
Böckler ImpulsCorporate Governance: Vom Kapitalmarkt getrieben
Amerikas Unternehmensvorstände klagen über den zunehmenden Druck von Analysten und Großanlegern wie etwa den dort mächtigen Pensionsfonds. Um kurzfristig die Erwartungen der Kapitalmärkte zu erfüllen, nehmen Konzernlenker sogar langfristig Wertverluste in Kauf, so eine Studie.
Forscher des National Bureau of Economic Research, der Duke University und der University of Washington befragten die Finanzvorstände börsennotierter Unternehmen zum Einfluss der Kapitalmärkte auf unternehmerische Entscheidungen. Institutionelle Investoren wie Versicherungen oder Fonds üben nach Ansicht der Manager den größten Einfluss auf den Börsenwert der Unternehmen aus, gefolgt von den Analysten der großen Bankhäuser. Die Crux: Im schlimmsten Fall reicht der Horizont von Aktionären und besonders von Analysten gerade einmal bis zu den nächsten Quartalszahlen. Dieser so genannte Short-Termism hat sich inzwischen auch in den Schaltzentralen börsennotierter Unternehmen breit gemacht, ergab die Untersuchung.
So würde mehr als die Hälfte der Finanzchefs den Start von Projekten verschieben, nur um Analystenerwartungen zu erfüllen - selbst wenn das dem Unternehmenswert später schadet. Denn die Manager sind davon überzeugt, dass die Kapitalmärkte von ihnen ein größtmögliches Maß an Verlässlichkeit erwarten. Unterschreiten die Quartalszahlen die Analystenprognosen, geraten die Unternehmensaktien unter Druck - und mit ihnen die Firmenchefs: "Verfehle ich die Markterwartungen, kostet mich das den Job", zitieren die Forscher einen der Finanzvorstände.
Den heftigen Reaktionen auf dem Börsenparkett liegt die Annahme zugrunde, dass die meisten Konzerne ihre Zahlen so beeinflussen können, dass sie die Analystenerwartungen erfüllen. Fehlen an der Prognose ein, zwei Cent, dann könnte das ein Hinweis auf gravierende Probleme sein.
Um solch einen Eindruck gar nicht erst entstehen zu lassen, gefährden Manager wissentlich die Zukunft ihres Unternehmens, so die Studie. Vier von fünf würden dafür sogar ihre Forschungs- und Entwicklungsausgaben kürzen, wodurch sie in Folgejahren möglicherweise hinterherhinken. Auch Marketing und Instandhaltung würden 80 Prozent lieber schleifen lassen, um gute Quartalszahlen präsentieren zu können.
Die überwältigende Mehrheit der Befragten glaubt auch, dass die Kapitalmärkte einem stetigen - eventuell schwächeren - Firmenwachstum mehr abgewinnen können als heftigen Ausschlägen nach oben und unten, selbst wenn das Unternehmen so stärker wächst. Denn stetiges, verlässliches Wachstum erleichtert den Job der Analysten, die Entwicklung des Konzerns zu prognostizieren. Kunden und Lieferanten gewinnen den Eindruck, dass die Geschäfte ordentlich laufen. 78 Prozent der Finanzchefs würden einen insgesamt niedrigeren Unternehmenswert in Kauf nehmen, wenn sie nur so ein stetiges Wachstum erreichen können.
Immerhin: Viele Konzernzentralen in den USA haben dem Drängen auf kurzfristige Gewinne inzwischen einen Riegel vorgeschoben. Um sich den Zwängen der Finanzmärkte zu entziehen, verzichten sie darauf, alle drei Monate neue Ergebnisziele zu setzen. Laut einer Erhebung des National Investor Relations Institute sank der Anteil der Firmen, die ihre Ziele veröffentlichen, von 71 Prozent 2005 auf 66 Prozent in diesem Jahr. Zu den Verweigerern gehören Ford, General Motors, Motorola und Intel. Netter Nebeneffekt: Unternehmen, die keine Quartalsziele mehr nennen, geben mehr Informationen über die langfristige Entwicklung ihres Unternehmens heraus. Und diese sind in der Regel weitaus besser geeignet, den wirklichen Zustand eines Unternehmens zu beurteilen.
John R. Graham, Campbell R. Harvey, Shiva Rajgopal: The Economic Implications of Corporate Financial Reporting, National Bureau of Economic Research, Working Paper Nr. 10550 (2004)