Quelle: HBS
Böckler ImpulsArbeitskämpfe: Viele Konflikte, weniger Streiktage
Im vergangenen Jahr haben deutlich weniger Beschäftigte gestreikt als 2013. Auch die Zahl der ausgefallenen Arbeitstage sank. Die Gesamtzahl der Arbeitskämpfe blieb dennoch hoch.
Rund 345.000 Beschäftigte haben nach der aktuellen WSI-Arbeitskampfbilanz im vergangenen Jahr bei Streiks und Warnstreiks die Arbeit niedergelegt. Das entspricht einem Rückgang um fast zwei Drittel gegenüber 2013. Die Zahl der ausgefallenen Arbeitstage sank um fast 25 Prozent auf 392.000, wie WSI-Arbeitskampfexperte Heiner Dribbusch ermittelt hat. Der Grund für den Rückgang: Die Streikbeteiligung werde wesentlich vom Verlauf der Tarifrunden in der Metall- und Elektroindustrie bestimmt, erklärt der WSI-Forscher. In diesem Bereich standen 2014 aber keine Tarifverhandlungen an.
Arbeitskämpfe aufgrund von Tarifflucht
Während das Streikvolumen und die Zahl der Beteiligten deutlich zurückgingen, blieb die Gesamtzahl der Arbeitskämpfe im Vergleich zum Vorjahr fast unverändert hoch: Insgesamt registrierte das WSI im abgelaufenen Jahr 214 Tarifkonflikte, in denen es zu Arbeitsniederlegungen kam, im Vorjahr waren es 218. Einen großen Teil der Arbeitskämpfe führt Dribbusch auf Versuche der Tarifflucht sowie die Abkehr der Arbeitgeber von ehemals einheitlichen Tarifstrukturen zurück.
Noch deutlicher als im Vorjahr konzentrierte sich 2014 das Streikgeschehen auf den Dienstleistungssektor. Fast 90 Prozent aller Arbeitskämpfe und gut 97 Prozent aller Streiktage sind diesem Bereich zuzuordnen. Alleine die Gewerkschaft ver.di war in mehr als 160 Arbeitskämpfe involviert.
Die umfangreichsten Flächenstreiks fanden in der Tarifrunde des öffentlichen Dienstes von Bund und Gemeinden statt. An verschiedenen Warnstreikwellen, zu denen neben ver.di und der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft auch die zum Beamtenbund gehörende dbb tarifunion aufgerufen hatte, nahmen nach Gewerkschaftsangaben rund 300.000 Beschäftigte teil. Daneben gab es zahlreiche Arbeitskämpfe in einzelnen Unternehmen.
Den prozentual höchsten Tarifabschluss nach einem Streik gab es, nachdem am 21. Februar 2014 das Sicherheitspersonal am Frankfurter Flughafen die Arbeit niedergelegt hatte. Über zwei Jahre verteilt wurde ein Einkommensplus von bis zu 26,5 Prozent vereinbart. Auch hier streikten Mitglieder von ver.di und dbb tarifunion gemeinsam.
Konfrontation statt Kooperation zwischen den Gewerkschaften kennzeichnete dagegen die Tarifauseinandersetzung bei der Deutschen Bahn, wo die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer darauf bestand, getrennt von der wesentlich größeren Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft zu verhandeln. Neben dem Bahnkonflikt stand der Arbeitskampf bei der Lufthansa im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses. Von der Zahl der Streikenden und der Ausfalltage her fielen beide Arbeitskämpfe jedoch wenig ins Gewicht, so Dribbusch.
Im internationalen Vergleich wird in Deutschland weiterhin relativ wenig gestreikt: Nach Schätzung des WSI fielen hierzulande im Zeitraum zwischen 2005 und 2013 im Jahresdurchschnitt pro 1.000 Beschäftigte 16 Arbeitstage durch Arbeitskämpfe aus. In Frankreich kamen auf 1.000 Beschäftigte im Jahresmittel 139 Arbeitskampftage, in Dänemark 135 und in Irland waren es 28. Ein deutlich niedrigeres Streikvolumen findet sich in Österreich, Polen und in der Schweiz. Dabei sei allerdings zu beachten, dass die amtlichen Statistiken auf unterschiedlichen Erfassungsmethoden basieren und teilweise lückenhaft sind. Das gilt nach Dribbuschs Erkenntnissen insbesondere für die Statistik der Bundesagentur für Arbeit, die lediglich ein Viertel der vom WSI geschätzten Ausfalltage ausweist.
Nach Einschätzung des Forschers wird sich der Rückgang des Streikvolumens in diesem Jahr nicht fortsetzen. Die Streikbeteiligung liege wegen der umfangreichen Warnstreiks in der Metall- und Elektroindustrie bereits nach zwei Monaten deutlich über der des vergangenen Jahres.
Heiner Dribbusch ist Experte für Tarif- und Gewerkschaftspolitik im WSI