Quelle: HBS
Böckler ImpulsArbeitsmarktpolitik: Vermittlung auf Augenhöhe
Die Arbeitsmarktpolitik braucht eine Neuausrichtung. Sie sollte weniger gängeln und sich stärker an guter Arbeit und Teilhabe orientieren.
Am deutschen Arbeitsmarkt läuft scheinbar alles rund. Die Zahl der Erwerbstätigen hat zuletzt mit 44,5 Millionen einen neuen Rekord erreicht, die Arbeitslosenquote betrug Ende 2017 nur 5,3 Prozent. Es gibt aber auch Schattenseiten: Die Zahl der Langzeitarbeitslosen stagniert seit Jahren bei rund einer Million. Das geht aus einem Bericht des von der Hans-Böckler-Stiftung geförderten Arbeitskreises Arbeitsmarktpolitik hervor, den Matthias Knuth vom Institut Arbeit und Qualifikation der Universität Duisburg-Essen herausgegeben hat. Die Teilnehmer – Experten aus Wissenschaft, Verwaltung, Gewerkschaften und Verbänden – haben Vorschläge für eine solidarische und vorausschauende Arbeitsmarktpolitik entwickelt.
Ausgangspunkt der Überlegungen sind die bestehenden Vorschriften zur Arbeitsförderung und zur Grundsicherung im Sozialgesetzbuch (SGB) III und SGB II. Als ein Grundproblem betrachten die Autoren Inkonsistenzen zwischen diesen beiden Regelwerken. Das SGB III sieht ausdrücklich vor, dass die Arbeitsförderung den Zustand des Arbeitsmarkts insgesamt und die Qualität der Beschäftigung berücksichtigt. Die Bestimmungen des SGB II laufen dagegen darauf hinaus, Hartz-IV-Empfänger so schnell wie möglich in Arbeit zu vermitteln – und zwar ohne Rücksicht auf die Qualität oder langfristige berufliche Ziele. Das SGB II verlange von den Betroffenen also, dass sie Jobs annehmen, deren Ausbreitung laut SGB III vermieden werden soll, heißt es in dem Papier. Um diesen Widerspruch aufzulösen, empfiehlt der Arbeitskreis, die allgemeinen Ziele des SGB III ins SGB II zu übernehmen.
Letzteres ist der Studie zufolge kein reines Arbeitsmarktgesetz, sondern auch ein Teilhabegesetz. Nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts soll die Grundsicherung nicht nur das physische Existenzminimum, sondern auch ein „Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben“ garantieren. Finanzielle Unterstützung allein reicht dafür nach Ansicht der Fachleute nicht aus. Für diejenigen, die keine Chance auf einen regulären Job haben, müsse der Staat Arbeitsmöglichkeiten schaffen.
Den beiden untersuchten Gesetzen liegen der Analyse zufolge unterschiedliche Gerechtigkeitskonzepte zugrunde: Während sich das SGB III am Prinzip der Leistungsgerechtigkeit orientiert, ist für das SGB II die Bedarfsgerechtigkeit maßgeblich. Fehlende Anerkennung von Leistung verletzt gängige Vorstellungen von Gerechtigkeit – etwa wenn trotz Beiträgen zur Arbeitslosenversicherung kein Anspruch auf Arbeitslosengeld erworben wird. Die Spannungen zwischen den beiden Gerechtigkeitskonzepten ließen sich zum einen durch einen größeren Geltungsbereich der Arbeitslosenversicherung mildern, so die Autoren. Damit auch Arbeitnehmer in ungesicherten Beschäftigungsverhältnissen mit lückenhaften Erwerbsbiografien Ansprüche erwerben können, sollten die Fristen entsprechend angepasst werden.
Darüber hinaus könnte der Gesetzgeber die Zumutbarkeitsregeln des SGB II an diejenigen des SGB III angleichen und so der Lebensleistung von Hartz-IV-Empfängern mehr Anerkennung zollen. Abgeschafft gehören nach den Vorstellungen des Arbeitskreises die Zwangsverrentung sowie die Mindestlohnausnahme für Langzeitarbeitslose.
Sowohl im SGB II als auch im SGB III fehle bislang ein Recht auf aktive Mitgestaltung, Information und Erörterung eigener Zielvorstellungen im Vermittlungsprozess, kritisieren die Experten. Arbeitsuchende sollten Vorschläge und Wünsche äußern können, die die Fachkräfte berücksichtigen müssen, sofern nicht gewichtige Gründe dagegensprechen. Eine Eingliederungsvereinbarung auf Augenhöhe sei zudem nur möglich, wenn sie nicht – wie momentan – jederzeit durch einen Verwaltungsakt ersetzbar ist.
Reformbedarf sehen die Teilnehmer des Arbeitskreises auch beim Thema Qualifikation. Sie fordern unter anderem, Weiterbildungen, die zu einem Berufsabschluss führen, bei Personen ab 25 Jahren der Vermittlung in Arbeit gleichzustellen. Die Teilnehmer sollten mit einem einheitlichen und anrechnungsfreien Weiterbildungsgeld zusätzlich zum Arbeitslosengeld gefördert werden. Zudem fehle bislang ein unabhängiges Beratungsangebot für berufliche Bildung.
Dringend nötig ist laut dem Bericht ein sozialer Arbeitsmarkt, der in erster Linie soziale Teilhabe ermöglicht. Um dabei die Chancen auf reguläre Jobs nicht zu verschlechtern, sei größtmögliche Ähnlichkeit zum allgemeinen Arbeitsmarkt wünschenswert. Die Beschäftigung sollte ausdrücklich freiwillig und ohne Sanktionen abzulehnen sein. Entscheidend für die Beteiligung von privaten Arbeitgebern seien Verlässlichkeit und Dauerhaftigkeit der Förderung.