Quelle: HBS
Böckler ImpulsHartz IV: Unzureichend nachgebessert
Zum 1. Januar 2014 steigt der Hartz-IV-Regelsatz um 9 auf 391 Euro. Doch damit bleibt er weiter hinter einem Existenz sichernden Niveau zurück.
Das Bundesverfassungsgericht hatte der Regierung 2009 aufgetragen, den Hartz-IV-Satz neu zu berechnen. Dabei kamen einzelne Bedarfsposten hinzu, andere wurden gestrichen – der Gesamtbetrag blieb beinahe unverändert. Zwar hat das Bundessozialgericht die neue Rechnung der Bundesregierung als „realitätsgerecht sowie nachvollziehbar“ bezeichnet. Der Paritätische Wohlfahrtsverband (DPWV) kommt jedoch – in Übereinstimmung mit Gutachten im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung – zu einem anderen Ergebnis.
Schulbesuch, Bildung, Teilhabe: Hier habe bis heute keine echte Bedarfsermittlung stattgefunden, schreiben die Grundsicherungsexperten des Sozialverbands Rudolf Martens und Joachim Rock. Die Leistungen des Bildungspakets reichten mit 100 Euro im Jahr nicht. Allein der Einschulungsbedarf liegt nach einer Stichprobe des DPWV bei 177 Euro. Andere Leistungen können oft gar nicht genutzt werden – etwa Zuschüsse zum Mittagessen, wenn es keine Schulkantine gibt.
Bezugsgruppe: Die Einzelposten, die sich zum Hartz-IV-Satz addieren, werden anhand tatsächlicher Konsumausgaben von Haushalten mit geringen Einkommen ermittelt. Aus dieser Bezugsgruppe müssten aber die verdeckt Armen, die ihre Ansprüche auf Grundsicherung nicht wahrnehmen, herausgerechnet werden. Andernfalls fällt das Existenzminimum systematisch zu niedrig aus. Dieses Problem berücksichtigt das gültige Verfahren nach Ansicht des Wohlfahrtsverbands nicht hinreichend: Die Dunkelziffer der Armut drückt weiter auf die Höhe der Grundsicherung.
Mobilität: Zu knapp bemessen seien auch die für Mobilität zugestandenen Beträge. Wer am Stadtrand oder auf dem Land lebt, wie 60 Prozent der Hartz-IV-Bezieher, wird mit rund 25 Euro pro Monat kaum hinkommen.
Lange Bezugsdauer: Hartz-IV-Bezug ist meist kein Kurzzeit-Phänomen. Viele leben mehrere Jahre von der Grundsicherung, oft mit kurzen Unterbrechungen. Gerade diese Tatsache schränke den Spielraum des Gesetzgebers ein, das Existenzminimum klein zu rechnen, so Martens und Rock. Es gehe schließlich nicht nur um eine Überbrückungsleistung.
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Auf Dauer sinkt Lebensstandard
Die Arbeitsagentur überweist zwar jeden Monat den gleichen Hartz-IV-Betrag. Trotzdem spricht viel dafür, dass der Lebensstandard der Bedürftigen bei längerfristigem Leistungsbezug sinkt. Beispielsweise können finanzielle Reserven schmelzen und soziale Netzwerke sich auflösen – Freunde und Bekannte, die zunächst noch mit diesem oder jenem ausgeholfen haben, werden weniger. Abgenutzte Kleidung, Möbel oder Elektrogeräte, die ihren Geist aufgegeben haben, können nicht mehr ersetzt werden.
Bernhard Christoph und Thorsten Lietzmann vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) haben diese These empirisch überprüft. Dazu nutzten sie eine Befragung des IAB, die Rückschlüsse auf die soziale Situation von über 1.700 Haushalten mit längerem Hartz-IV-Bezug zulässt. Dabei sollten die Interviewten keine persönlichen Einschätzungen abgeben, sondern ganz konkrete Fragen zu ihren Lebensumständen beantworten: Hat jede Person im Haushalt ein eigenes Zimmer? Kann jedes Familienmitglied mindestens einmal im Monat ins Kino oder Konzert gehen? Haben Sie einen Computer mit Internetanschluss? Oder: Können Sie die Miete immer pünktlich zahlen?
Von den 26 Fragen konnten die Leistungsbezieher im Schnitt 19 positiv beantworten. Wenn Faktoren wie die Anzahl der Kinder oder der Bildungsabschluss herausgerechnet werden, zeigt sich: Befragte, die länger auf staatliche Unterstützung angewiesen sind, weisen auch einen geringeren Lebensstandard auf. Drei zusätzliche Jahre Hartz IV führen dazu, dass im Durchschnitt eine weitere Frage negativ beantwortet wird. Zu Einschränkungen kommt es hauptsächlich in den Bereichen Nahrung, Bekleidung, soziale und kulturelle Teilhabe sowie bei den „finanziellen Möglichkeiten“ – sparen, größere Anschaffungen, Rechnungen pünktlich bezahlen.
Der gemessene Effekt sei zwar relativ gering und lasse kurzfristig keinen radikalen Einschnitt im Lebensstandard befürchten, schreiben die Forscher. Man müsse sich jedoch vergegenwärtigen, dass sich die „Analysen eben nicht auf einen normalen Bevölkerungsquerschnitt beziehen, sondern auf die Empfänger von Grundsicherungsleistungen“, also auf Menschen mit einem ohnehin eingeschränkten Lebensstandard. Zudem erlaube ihre Analyse keine Aussage über die langfristige Entwicklung, so Christoph und Lietzmann. Sie empfehlen, insbesondere die Lebensumstände von Langzeitempfängern im Auge zu behalten. Wenn deren Lebensstandard weiter deutlich absinken sollte, wäre das „durchaus bedenklich“.
Rudolf Martens, Joachim Rock: Gutachten zur Verfassungsbeschwerde gegen die Urteile des Bundessozialgerichts vom 28.03.2013 und des Sozialgerichts Oldenburg vom 10.01.2012 (pdf), Sept. 2013
Bernhard Christoph, Thorsten Lietzmann: Je länger, je weniger?, in: Zeitschrift für Sozialreform 2/2013