Demokratie: Unverzichtbarer Sozialstaat
Ein funktionierender Sozialstaat sorgt für wirtschaftliche Stabilität und trägt zum sozialen Zusammenhalt bei. Kürzungen sind der falsche Weg.
Die künftige Bundesregierung könnte den Sozialstaat einschränken. So sind im Koalitionsvertrag zwischen Union und SPD strengere Regeln beim Bürgergeld vorgesehen. Oft wird dabei argumentiert, die Staats- und Sozialausgaben seien hierzulande besonders hoch – und in jüngster Zeit stark gestiegen. Nur: Das stimmt nicht, wie zahlreiche Studien, unter anderem von WSI und IMK, belegen. „Wer von einem ungebremst wachsenden Sozialstaat spricht oder davon, dass der Staat generell immer weiter aufgebläht werde, verbreitet eine Mär, die nicht durch Fakten gedeckt ist“, sagt IMK-Direktor Sebastian Dullien.
Nicht selten basierten alarmistische Diagnosen auf ungeeigneten Daten. So werde regelmäßig festgestellt, die Staatsausgaben erreichten immer neue „Rekordhöhen“. Da aber Preise und Einkommen jedes Jahr steigen, seien neue Höchststände bei Einnahmen und Ausgaben völlig normal. Betrachtet man die preisbereinigte Entwicklung der öffentlichen Sozialausgaben in den letzten 20 Jahren im internationalen Vergleich, so zeigt sich: Deutschland liegt unter den 27 OECD-Ländern, für die Daten von 2002 bis 2022 vorliegen, mit einem Zuwachs von insgesamt 26 Prozent auf dem drittletzten Platz, gehört also zu den Ländern mit dem geringsten Zuwachs.
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Ein gut funktionierender Sozialstaat bietet nicht nur soziale Sicherheit, sondern stabilisiert auch die Wirtschaft, stärkt den gesellschaftlichen Zusammenhalt und reduziert die Ungleichheit. Allerdings hat Deutschland bei der Bekämpfung der Ungleichheit nachgelassen, wie eine aktuelle Studie des WSI zeigt. Sowohl das Steuersystem als auch der Sozialstaat haben zuletzt weniger dazu beigetragen als in den Jahren zuvor. Das schafft Unsicherheit und führt zu schwindendem Vertrauen. „Unsere Forschungen und die vieler anderer Institute zeigen, dass Zukunftssorgen und die Angst, künftig im Lebensstandard abzurutschen, in den vergangenen Jahren zugenommen haben und dass solche Sorgen oft mit einer Entfremdung von demokratischen Institutionen einhergehen“, warnt WSI-Direktorin Bettina Kohlrausch.
Der Wunsch nach staatlicher Umverteilung ist in der Bevölkerung weit verbreitet: Knapp 50 Prozent sind laut WSI-Erwerbspersonenbefragung der Meinung, dass Menschen mit geringem Einkommen besser als bisher unterstützt werden sollten. Rund 60 Prozent finden, dass der Staat zu wenig gegen die Ungleichheit unternimmt. Nur eine kleine Minderheit stimmt diesen Aussagen ausdrücklich nicht zu. Die Meinung, dass der Staat Ungleichheit stärker bekämpfen sollte, ist bei Personen mit niedrigem Einkommen besonders ausgeprägt und nimmt mit steigendem Einkommen tendenziell ab, wobei die Zustimmung bis in die obere Mitte der Einkommensverteilung überwiegt.
Sebastian Dullien, Katja Rietzler: Die Mär vom ungebremst wachsenden deutschen Sozialstaat(Öffnet in einem neuen Fenster), IMK-Kommentar Nr. 11, Februar 2024
Dorothee Spannagel, Jan Brülle: Weniger Umverteilung: Warum der Sozialstaat schlechter vor Armut schützt(Öffnet in einem neuen Fenster), WSI-Report Nr. 99, Februar 2025