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Unsere Zukunft steht auf dem Spiel Böckler Impuls

Investitionsoffensive: Unsere Zukunft steht auf dem Spiel

Ausgabe 09/2024

Um Wirtschaft und Gesellschaft zukunftsfähig zu machen, sind zusätzliche staatliche Investitionen in Höhe von 600 Milliarden Euro notwendig. Die Schuldenbremse muss schnellstmöglich reformiert werden.

Der deutsche Staat muss im kommenden Jahrzehnt jährlich rund 60 Milliarden Euro zusätzlich investieren, um das Land im Hinblick auf Klimawandel, Energie- und Verkehrswende, demografischen Wandel und Digitalisierung zukunftsfähig zu machen. Mit den insgesamt etwa 600 Milliarden Euro könnten bis Mitte der 2030er-Jahre dringend notwendige Fortschritte bei der Qualität der Bildungsinfrastruktur, der Energie- und Verkehrsnetze, des öffentlichen Verkehrs sowie der Dekarbonisierung des Landes erzielt werden. Zu diesem Ergebnis kommen das IMK und das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in einer gemeinsamen Studie. 

Eine Investitionsoffensive würde über Jahrzehnte hinweg volkswirtschaftliche Vorteile bringen – zum Beispiel, weil eine höhere Produktivität durch bessere Bildung und effizientere Technologien den Arbeitskräftemangel in einer alternden Gesellschaft teilweise ausgleichen kann. Auch kommunale Investitionen, die dazu beitragen können, drohende Schäden durch den Klimawandel zu begrenzen, würden ermöglicht. „Die Stärkung des Wachstumspotenzials ist eine zentrale Voraussetzung, um nicht nur die Stagnation zu überwinden, sondern auch, um die anstehenden gesellschaftlichen Aufgaben einigermaßen spannungsfrei bewältigen zu können“, so die Forschenden. Da zukünftige Generationen von diesen Investitionen profitieren, sei es sinnvoll, diese auch über Kredite zu finanzieren. Die Schuldenbremse müsse so schnell wie möglich modifiziert werden, um den notwendigen Spielraum zu ermöglichen. Mit einer „Goldenen Regel“ oder einem Infrastrukturfonds lägen hierfür bereits praktikable Vorschläge vor, die – politischen Willen vorausgesetzt – rasch umgesetzt werden könnten.

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IMK und IW hatten den zusätzlichen öffentlichen Investitionsbedarf bereits 2019 beziffert – damals auf rund 460 Milliarden Euro für die folgenden zehn Jahre. Seitdem habe es zwar in einigen Bereichen deutliche Fortschritte gegeben, etwa beim Breitband- und beim Kita-Ausbau. Dennoch sei der Investitionsbedarf heute noch größer, schreiben Sebastian Dullien und Katja Rietzler vom IMK sowie Michael Hüther und Simon Gerards Iglesias vom IW in ihrer aktualisierten Studie. Gründe dafür seien die Auswirkungen der multiplen Krisen seit 2020, etwa die Unsicherheiten bei der Energieversorgung, und die verschärften Anforderungen an den Klimaschutz.

„Wenn man so will, waren die vergangenen fünf Jahre Jahre der Wahrheit. 2019 sind auch wir von einer Transformation in kleineren Schritten ausgegangen, als wir das heute tun“, sagt Katja Rietzler, IMK-Expertin für Fiskalpolitik. Diese Verschiebung sei deutlich in den neuen Zahlen zu erkennen. Dekarbonisierung, Schieneninfrastruktur, öffentlicher Personennahverkehr und Klimaanpassung machten zusammen etwa die Hälfte des Investitionsbedarfs aus.

Auf Basis einer Vielzahl aktueller wissenschaftlicher Studien eigener und externer Institute gehen IMK und IW von folgendem zusätzlichen Investitionsbedarf aus:

  • Angesichts der über die Jahre entstandenen Lücken kalkulieren die Forschenden mit gut einem Drittel der zusätzlichen Investitionssumme, um den Sanierungsstau in den Städten und Gemeinden aufzulösen. Gestützt auf Analysen der Kreditanstalt für Wiederaufbau veranschlagen sie dafür rund 177 Milliarden Euro über zehn Jahre. Hinzu kommen gut 13 Milliarden Euro, um die Klimaanpassung in Städten und Gemeinden voranzutreiben, etwa zum Schutz vor Starkregen und Hitze.
  • Rund 200 Milliarden Euro in zehn Jahren sehen die Fachleute für öffentliche Investitionen in den Klimaschutz vor. Größter Einzelposten ist die energetische Gebäude­sanierung. Weitere wichtige Aufgaben sind der Netzausbau für Strom und Wasserstoff, Wärmenetze, zusätzliche Erzeugungs- und Speicherkapazitäten für erneuerbare Energien sowie die Förderung von Energieeffizienz und Innovationen.
  • Insgesamt sollen rund 127 Milliarden Euro zusätzlich in Verkehr und Mobilität investiert werden: Knapp 60 Milliarden Euro für die Modernisierung und den Ausbau des Schienennetzes, weitere 28,5 Milliarden Euro für den Ausbau des öffentlichen Personennahverkehrs. Mit 39 Milliarden Euro soll der Rückstand bei der Instandhaltung der Fernstraßen aufgeholt werden.
  • Als vierten großen Posten nennen die Wissenschaftlerin und die Wissenschaftler einen Investitionsbedarf von knapp 42 Milliarden Euro für bessere Bildungsinfrastruktur. Davon sollten rund sieben Milliarden in den Ausbau von Ganztagsschulen fließen. Weitere knapp 35 Milliarden Euro müssten bereitgestellt werden, um den Sanierungsbedarf an Hochschulen zu decken. Hier wie in allen anderen Bereichen gilt: Die veranschlagten Investitionskosten decken nicht die laufenden Betriebskosten der modernisierten oder neu geschaffenen Kapazitäten, die in der jährlichen öffentlichen Finanzplanung berücksichtigt werden müssen. So erfordern beispielsweise neue und verbesserte Ganztagsschulen auch zusätzliches pädagogisches Personal.
  • Schließlich empfehlen IMK und IW zusätzliche Investitionen, um die Wohnungsnot in vielen deutschen Großstädten zu lindern. Zusätzlich rund 37 Milliarden Euro sollen in den sozialen Wohnungsbau fließen.

Auch wenn die Summe von knapp 600 Milliarden Euro über zehn Jahre gigantisch erscheint: Gemessen an der deutschen Wirtschaftsleistung sei der zusätzliche Finanzbedarf von jährlich rund 1,4 Prozent des jährlichen Bruttoinlandsprodukts „eine überschaubare Größenordnung“, schreiben die Forschenden. Dennoch sei es unrealistisch, diese Summen durch Umschichtungen aufzubringen, eine Kreditfinanzierung sei daher unumgänglich, aber auch sinnvoll und lohnend: Berücksichtige man die in der Wissenschaft üblicherweise veranschlagten Wachstumseffekte von Ausgaben für Infrastruktur oder Bildung, „so ist bei einer solchen kreditfinanzierten Investitionsoffensive mittel- bis langfristig sogar mit einer niedrigeren Schuldenquote zu rechnen als ohne eine Erhöhung der öffentlichen Investitionen“, betonen die Ökonomin und die Ökonomen.

Schuldenbremse muss reformiert werden

Blockiert werde ein ambitionierter Investitionskurs durch die schematischen deutschen und teilweise auch europäischen Schuldenregeln. Dass diese nicht mehr zeitgemäß sind, sei zunehmend Konsens in der Wirtschaftswissenschaft und zum Teil auch in der Wirtschaftspolitik. Mittlerweile würden „eine Reihe von möglichen Lösungen diskutiert“, um die Schuldenbremse zu reformieren und den notwendigen finanziellen Spielraum zurückzugewinnen, so die gemeinsame Analyse von IMK und IW. 

Ein Lösungsansatz wäre ein großvolumiger Infrastrukturfonds, der wie das Sondervermögen für die Bundeswehr von der Schuldenbremse ausgenommen ist. Als Variante dazu könnten Unternehmen in öffentlichem Eigentum die Investitionsfinanzierung übernehmen. Alternativ könnten die Schuldenbremse und der Europäische Stabilitäts- und Wachstumspakt um eine „Goldene Regel“ ergänzt werden. Diese würde Investitionen von der geltenden Neuverschuldungsbegrenzung ausnehmen.

„Vermeintlich belastbare Brücken in die Zukunft sind weggebrochen, etwa Gas als Zwischentechnologie. Wir müssen daher noch mehr tun, um unsere wirtschaftliche Basis durch Modernisierung zu sichern“, sagt IMK-Direktor Sebastian Dullien. „Wenn wir erfolgreich Tempo machen, ist der Umbau schneller geschafft. Davon profitieren auch Wirtschaft und Beschäftigte – und natürlich auch die nächste Generation.“
 

Sebastian Dullien, Simon Gerards Iglesias, Michael Hüther, Katja Rietzler: Herausforderungen für die Schuldenbremse: Investitionsbedarfe in der Infrastruktur und für die Transformation, IMK Policy Brief Nr. 168, Mai 2024

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