Quelle: HBS
Böckler ImpulsLöhne: Tarif lohnt sich immer
Tarifbeschäftigte verdienen im Schnitt besser als andere Arbeitnehmer, zeigt eine Untersuchung des WSI. Und das liegt nicht nur daran, dass sie besonders häufig in Großbetrieben oder bestimmten Branchen arbeiten.
Wer nach einem Tarifvertrag bezahlt wird, bekommt im Schnitt mindestens ein Fünftel mehr als Beschäftigte ohne Tarifvertrag. Dies lässt sich aus der jüngsten Verdienststrukturerhebung des Statistischen Bundesamtes von 2010 ablesen. Allerdings ist fraglich, inwieweit der gemessene Unterschied tatsächlich die Folge kollektiver Lohnvereinbarungen ist. Der Zusammenhang könnte schließlich auch umgekehrt sein: Wo es mehr zu verteilen gibt, besonders in wirtschaftlich starken Großbetrieben, würden nach dieser Lesart eben auch häufiger Tarifverträge geschlossen. WSI-Forscher Marc Amlinger hat sich die verfügbaren Daten näher angeschaut. Sein Fazit: „Werden die Verdienste und Arbeitsbedingungen kollektiv auf Branchen- oder Firmenebene ausgehandelt, ergeben sich daraus auch unter sonst gleichen Arbeitsplatzmerkmalen signifikant höhere Bruttostundenlöhne.“
In seiner statistischen Analyse hat der Wissenschaftler eine lange Reihe von Faktoren berücksichtigt, die – neben der Tarifbindung – einen Einfluss auf die Lohnhöhe haben könnten. Das sind zum einen Merkmale der Betriebe: Branche oder Zugehörigkeit zu einem bestimmten Handwerk, Standort, Größe, Geschlechterverteilung und Qualifikation der Beschäftigten, Einfluss der öffentlichen Hand, Einzel- oder Filialbetrieb.
Erwartungsgemäß zeigt sich, dass etwa Beschäftigte in der Metall- und Elektrobranche besser verdienen als viele Dienstleister, dass die Löhne im Westen höher als im Osten sind oder dass besonders Großbetriebe gute Gehälter zahlen. Dennoch bleibt die Tarifbindung eine der wesentlichen Einflussgrößen: Mit Branchentarif liegt der durchschnittliche Stundenverdienst 11,1 Prozent höher als in Betrieben ohne Kollektivvereinbarung – wenn die Betriebsmerkmale bereits herausgerechnet sind. Bei Haustarifen beträgt das Plus 15,7 Prozent.
Außer den betriebsspezifischen Kennzahlen könnten natürlich auch persönliche Eigenschaften der Beschäftigten die Bezahlung beeinflussen. Deshalb hat Amlinger im nächsten Schritt berechnet, wie stark wichtige Arbeitnehmermerkmale auf die Vergütung wirken: Dauer der Betriebszugehörigkeit, Mann oder Frau, Ausbildung, Voll- oder Teilzeitbeschäftigung, befristete oder reguläre Anstellung, Einstufung als Angelernter, Fach- oder Führungskraft.
Auch hier finden sich die erwartbaren Muster: Männer verdienen besser als Frauen, Ältere und langjährige Betriebsangehörige bekommen mehr als Berufsanfänger, mit zunehmender Qualifizierung und höherer Eingruppierung nimmt der Stundenlohn zu, Teilzeitarbeiter stehen schlechter da als Vollzeitbeschäftigte.
Aber selbst wenn diese individuellen Einflussgrößen zusätzlich zu den betrieblichen Faktoren rechnerisch neutralisiert werden, bleibt ein klarer Zusammenhang zwischen Tarifbindung und Lohnniveau bestehen, so der WSI-Forscher. Für die Branchentarife ergibt sich gegenüber tariflosen Betrieben ein Plus von 5,6 Prozent. Im Falle des Haustarifs liegt der Lohnvorteil bei 8,2 Prozent. Dies unterstreiche „die nach wie vor vorhandene Durchsetzungskraft kollektiver Interessenvertretung der Arbeitnehmer bei Lohnfindungsprozessen“, so Amlinger. Eine Stärkung von „Reichweite und Prägekraft des deutschen Tarifsystems“ würde einen entscheidenden Beitrag zu einer solidarischen und den Euroraum stabilisierenden Lohnpolitik leisten.
Marc Amlinger: Lohnhöhe und Tarifbindung (pdf), WSI-Report 20, Dezember 2014