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HBS Böckler Impuls

Schattenwirtschaft: Steuerlast beeinflusst Schwarzarbeit wenig

Ausgabe 15/2010

Der Umfang der Schattenwirtschaft ist vermutlich geringer als angenommen. Und auch die Gründe für Schwarzarbeit sind vielfältiger: Es ist bei weitem nicht nur die Abgabenlast, die zählt.

Das Bundesfinanzministerium schätzte 2006, dass etwa 350 Milliarden oder 16 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) an Fiskus und Sozialversicherung vorbei erwirtschaftet werden. Doch solche Kalkulationen sind mit großer Vorsicht zu genießen. Darauf weist Ulrich Thießen vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in einer Untersuchung im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung hin.

Diese und andere regelmäßig von den Medien aufgegriffenen Zahlen gehen auf Makroschätzungen zurück, die mit gesamtwirtschaftlichen Größen arbeiten, erläutert der Forscher. Deren Ergebnisse hingen jedoch stark von bestimmten, schwer überprüfbaren Annahmen ab. Thießen verweist dagegen auf andere Ansätze, die den Umfang der Schattenwirtschaft wesentlich niedriger beziffern: Das tatsächliche Ausmaß von Schwarzarbeit und anderen Schattenaktivitäten ist Thießen zufolge geringer als häufig behauptet: "Die Mikro-Evidenz durch Befragungen, umfassende Überprüfungen der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung, detaillierte Plausibilitätsrechnungen und die Ergebnisse der in Deutschland flächendeckend arbeitenden Sonderpolizei Finanzkontrolle Schwarzarbeit zeigen unisono, dass die Schattenwirtschaft in Industrieländern relativ niedrig ist." In Deutschland ebntspricht die Schwarzarbeit vermutlich weniger als drei Prozent des BIP, so der Forscher.

Mit einer umfangreichen empirischen Analyse hat der Wissenschaftler zudem versucht zu ermitteln, welche Faktoren illegale Wirtschaftsaktivitäten begünstigen. In das Rechenmodell flossen Daten der OECD-Länder und rund 150 mögliche Erklärungsfaktoren ein - von Steuerlast und Arbeitsmarktregulierungen über das Rechtssystem bis zu unterschiedlichen sozialen Normen. Als Anhaltspunkt für das Ausmaß des Schattensektors dient die Bargeldhaltung. Da Schwarzarbeit oder andere hinter dem Rücken des Staates getätigte Geschäfte in der Regel nicht per Überweisung abgewickelt werden, dürfte mit einem höheren Bargeldumsatz auch mehr Schattenwirtschaft verbunden sein. Allerdings betont Thießen: Diese Methode lasse zwar Vergleiche zwischen verschiedenen Ländern oder Zeitpunkten zu, auf die absolute Höhe der im Halbdunkel erbrachten Wirtschaftsleistung sind hingegen keine sicheren Rückschlüsse möglich.

Die Untersuchung möglicher Ursachen und der Stärke ihres Einflusses auf die Schattenwirtschaft kommt zu überraschenden Ergebnissen: An erster Stelle steht die wahrgenommene politische Korruption. Offenbar hängt die Bereitschaft Gesetze einzuhalten eng mit dem Vertrauen in den Staat zusammen. Darauf folgt eine im Kontext der Schattenwirtschaft bislang selten thematisierte Größe: die persönliche Zufriedenheit. Wo ein besonders hoher Bevölkerungsanteil angibt, glücklich zu sein, bewegt sich nur ein geringer Teil der Wirtschaft außerhalb legaler Bahnen. An dritter Stelle kommt die Zahl der nicht oder kaum in regulierten Verhältnissen beschäftigten Erwerbstätigen, etwa unbezahlter Familienangehöriger. Auch Faktoren wie die Qualität des Rechtssystems oder die Zufriedenheit mit der Regierung rangieren mit weitem Abstand vor der oft genannten Höhe der Steuerbelastung.

Die traditionellen Annahmen über die Ursachen der Schattenwirtschaft sind um viele Faktoren zu ergänzen, folgert der Wissenschaftler. Und das hat praktische Bedeutung für die Wirtschaftspolitik: Wolle man die Schattenwirtschaft bekämpfen - was der Wissenschaftler selbst angesichts des eher geringen Umfanges nicht für vordringlich hält -, so sei dies auch ohne Senkung der Abgabenlast oder Deregulierung des Arbeitsmarkts möglich.  

  • Faktoren wie Steuer- und Abgabenlast, die üblicherweise als erste genannt werden, um zu erklären, warum ein Teil der Wirtschaftstätigkeit außerhalb des legalen Rahmens stattfindet, spielen eine geringere Rolle als gedacht. Zur Grafik

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