Bürgergeld: Stets höheres Einkommen mit Job
Die Erhöhung der Grundsicherung hat die Arbeitsanreize nicht reduziert. Nach wie vor gilt: Arbeit lohnt sich immer.
Das Bürgergeld „senkt die Anreize, eine Arbeit aufzunehmen“, hieß es im Wahlprogramm von CDU und CSU. Konservative behaupten regelmäßig: Weil das Bürgergeld in jüngster Zeit stärker gestiegen sei als die Löhne, lohne es sich nicht mehr zu arbeiten. Johannes Steffen, Volkswirt und Betreiber der Internetplattform Portal Sozialpolitik, hat sich mit dieser These auseinandergesetzt – und kommt zu einem anderen Ergebnis. Das Entscheidende ist dem Wissenschaftler zufolge, die richtigen Größen zu vergleichen und die Konstruktion des Bürgergelds zu verstehen.
Wer 100 000 Euro im Jahr verdient, aber zuletzt keine großen Gehaltssprünge erlebt hat, wird kaum seinen Job kündigen, weil das Bürgergeld prozentual gesehen in den vergangenen Jahren etwas stärker gestiegen ist. Sinnvollerweise, so Steffen, sollte man für einen Vergleich mit dem Bürgergeld die Entwicklung der Einkommen im Niedriglohnbereich heranziehen. Hier setzt der Mindestlohn die Untergrenze. Es zeigt sich: Von 2021 bis 2025 ist der Regelsatz des Bürgergelds nominal um 26,2 Prozent gestiegen, der gesetzliche Mindestlohn nominal aber um 34,9 Prozent. Nach Abzug von Steuern und Sozialabgaben bei Alleinstehenden mit 38-Stunden-Woche bleibt eine Erhöhung von 30,5 Prozent. Damit sind die niedrigsten legalen Löhne stärker gestiegen als das Bürgergeld. Der sogenannte Lohnabstand hat sich also keineswegs verringert.
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Schiefe Vergleiche werden auch oft angestellt, wenn es um Haushalte mit mehreren Personen geht, deren Bürgergeldanspruch im Vergleich zum Einkommen eines Alleinverdieners mit niedrigem Lohn relativ hoch wirkt. Übersehen werden dabei unter anderem Leistungen, die auch Beschäftigte ohne Bürgergeldbezug bekommen, und Leistungen, die bei Bürgergeldbeziehenden angerechnet werden. So erhalten Familien ohne Bürgergeld das Kindergeld zusätzlich zum Arbeitslohn, bei Bürgergeldbeziehenden wird es aber auf die Regelleistung angerechnet.
Ein weiterer wichtiger Punkt sind die Erwerbstätigen-Freibeträge, die dafür sorgen, dass Menschen mit Bürgergeldanspruch, die zumindest etwas hinzuverdienen, mehr verfügbares Einkommen haben als solche, die keiner Beschäftigung nachgehen. Tatsächlich lohne sich Arbeit immer, so Steffen.
Um sinnvolle Aussagen zum Vergleich zwischen Bürgergeldbezug und Vollzeitarbeit im Niedriglohnsektor treffen zu können – die Varianten, die einander in politischen Debatten meist gegenübergestellt werden –, hat der Forscher Beispielrechnungen für verschiedene Haushaltstypen angestellt. Dabei wird von durchschnittlichen Wohn- und Heizkosten der Bürgergeldbeziehenden ausgegangen. Berücksichtigt sind der 2022 eingeführte Sofortzuschlag für Kinder, Wohngeldansprüche bei Geringverdienenden, der Unterhaltsvorschuss bei Alleinerziehenden, Steuern und Sozialbeiträge und weitere Einkommen oder Abzüge. Ergebnis: Ein Single mit Vollzeitjob zum Mindestlohn hat 555 Euro mehr verfügbares Einkommen im Monat als dieselbe Person im Bürgergeldbezug. Bei einer Alleinerziehenden mit zwei heranwachsenden Kindern sind es 847 Euro, bei einem Paarhaushalt mit Alleinverdiener und zwei Kindergartenkindern 767 Euro.
Steffen resümiert: „Dass es sich infolge eines im Vergleich zu den Löhnen zu stark gestiegenen Bürgergeldes nicht mehr lohne, arbeiten zu gehen, gehört ebenso zu den faktenfreien Mythen der aktuellen sozial- und arbeitsmarktpolitischen Debatte wie der öffentlich erweckte Eindruck eines über die vergangenen Jahre gesunkenen und damit nicht mehr ausreichenden Lohnabstands.“ WSI-Direktorin Bettina Kohlrausch sagt: „Das Bürgergeld definiert zudem das sozio-kulturelle Existenzminimum – also die absolute Untergrenze dessen, was Menschen brauchen, um an der Gesellschaft teilhaben zu können. Wenn es immer noch Einkommensgruppen gibt, die sich nah an dieser Grenze bewegen, ist das ein Argument für eine spürbare Erhöhung des Mindestlohnes.“
Johannes Steffen: Die Bürgergeld-Reform von 2023 – Quelle allen Übels? WSI-Blog, Februar 2025