Quelle: HBS
Böckler ImpulsKlimakrise: Stagnation hilft nicht
Sind die Klimaziele am besten zu erreichen, wenn die Wirtschaft nicht mehr wächst? Das klingt erst mal plausibel, ist aber kaum umzusetzen.
Der weltweite CO2-Ausstoß nimmt weiter zu, im vergangenen Jahr um knapp ein Prozent gegenüber 2021. Trotz aller Bemühungen, fossile Energieträger durch klimaneutrale Technologien zu ersetzen. Kein Wunder, wenn die Menge der produzierten Waren und Dienstleistungen jedes Jahr rasant zunimmt und die Produktion weiter auf dem Einsatz CO2-intensiver Energie beruht, meinen einige Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, und würden dem Wirtschaftswachstum gern einen Riegel vorschieben. Fabian Lindner, Ökonomieprofessor an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin, hat sich mit diesen Argumenten auseinandergesetzt. Sein Fazit: „Kein Wachstum ist auch keine Lösung“ – unter anderem, weil es dann schwierig wird, den notwendigen Umstieg auf klimaschonende Technologien zu finanzieren.
Lindner unterscheidet zwischen Befürworterinnen und Befürwortern einer Degrowth-Strategie, die zumindest in den reichen Ländern eine schrumpfende Wirtschaftsleistung anstreben, und einer Postwachstums-Bewegung, die sich mit einer Stagnation auf dem aktuellen Niveau zufriedengeben würden. Dabei strebe die Degrowth-Fraktion in der Regel eine Überwindung des herrschenden Wirtschaftssystems an, während Postwachstums-Anhänger und -anhängerinnen eher auf eine Fortentwicklung des wohlfahrtsstaatlich eingebetteten Kapitalismus setzen. Gemeinsam ist beiden Gruppen die Überzeugung, dass das reale Bruttoinlandsprodukt (BIP) nicht mehr zunehmen sollte, womit das seit Jahrzehnten verfolgte wirtschaftspolitische Ziel Nummer eins vom Tisch wäre.
Was wäre die Folge, in ökologischer wie sozialer Hinsicht? Was das Klima betrifft, weist Lindner darauf hin, dass auch in einem Stagnations- oder Schrumpfungsszenario die Technologie besser werden muss, um das langfristige Ziel einer klimaneutralen Wirtschaft zu erreichen. Schließlich lasse sich die Produktion nicht auf null herunterfahren, weil die „Menschen für ihr Überleben immer Güter und Dienstleistungen herstellen müssen“. Allerdings dürfte es in einer schrumpfenden Wirtschaft deutlich schwieriger werden, die nötigen Mittel für Investitionen in Klimaschutz aufzubringen, als in einer prosperierenden, so der Forscher. Zudem hänge nicht nur die Höhe grüner Investitionen erfahrungsgemäß vom Wirtschaftswachstum ab, sondern die Aktivitäten zur Dekarbonisierung der Produktion erzeugten selbst wiederum Wachstum.
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Ob ein Verzicht auf Wirtschaftswachstum für sich genommen dem Klima nutzen würde, ist also bereits zweifelhaft. Aber auch die sozialen Konsequenzen müssen bedacht werden – schon allein, weil eine ökologische Transformation in einer von Verteilungskämpfen zerrissenen Gesellschaft schwieriger umzusetzen sein dürfte, so Lindner. Grundsätzlich sei es in einer wachsenden Wirtschaft mit zunehmenden Einkommen leichter, Verteilungskonflikte zu lösen. Denn bei steigenden Einkommen „kann im Prinzip jeder mehr erhalten, ohne dass andere verzichten müssen“. Die Verteilungskämpfe würden sich „massiv verstärken, wenn das BIP stagniert oder sogar schrumpft“.
Verwerfungen würden Postwachstum oder Degrowth auch für den Arbeitsmarkt bedeuten. Bei steigender Arbeitsproduktivität werden für die gleiche Produktionsmenge immer weniger Menschen gebraucht. Solange die Wirtschaft im gleichen Maße wächst wie die Arbeitsproduktivität, entstehen genug neue Stellen, um die Jobverluste aufzufangen. Wenn die Wirtschaft insgesamt aber nicht wächst, steigt die Arbeitslosigkeit.
Alle diese Probleme durch staatliche Umverteilung und Wirtschaftsplanung zu lösen, dürfte nach Lindners Einschätzung schwierig werden. Er fürchtet, dass viele der nötigen Korrekturen „politisch kaum durchsetzbar“ wären und die Ungleichheit von Einkommen und Vermögen zunehmen würde. Der Wohlstandsverlust wäre einer Modellrechnung zufolge gewaltig, wenn das Welt-BIP insgesamt stagnieren sollte – und lediglich den ärmsten Ländern weiteres Wachstum zur Armutsbekämpfung erlaubt würde: Dann müssedas BIP in Industrieländern wie Deutschland oder den USA um 70 Prozent und mehr sinken.
Was bleibt als Alternative? Lindner: „Es ist Grünes Wachstum.“ Dazu müssten private und staatliche Investitionen in die Dekarbonisierung so stark steigen, dass es gelingt, den Anstieg der globalen Temperatur zu begrenzen. Nötig sei eine massive globale Ausweitung von Forschung und Entwicklung sowie Investitionen in klimaneutrale Technologien. Und gleichzeitig eine Politik, die Einkommensungleichheit reduziere und öffentliche Güter wie Gesundheit und Bildung stärke, um die Lebensqualität zu erhöhen.
Fabian Lindner: Kein Wachstum ist auch keine Lösung, Wirtschaftsdienst 8/2023