Quelle: HBS
Böckler ImpulsUnternehmen: Stadtluft macht produktiv
Unternehmen profitieren vom städtischen Umfeld. Vor allem der Wissenstransfer steigert ihre Produktivität.
Industrieunternehmen in städtischen Regionen sind besonders produktiv. Sie profitieren dort unter anderem von Wissen, das durch die Forschungsaktivitäten anderer Unternehmen und die öffentliche Forschung geschaffen wird. Zu diesem Ergebnis kommen Heike Belitz und Alexander Schiersch vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). Die Wissenschaftler haben anhand von umfangreichen Daten für Industrieunternehmen in Deutschland untersucht, wie räumliche Faktoren die Produktivität beeinflussen.
Der Studie zufolge betreiben Unternehmen in Großstädten und deren Umland nicht nur mehr Forschung als in ländlichen und verstädterten Regionen, sie sind im Schnitt auch produktiver. Die Produktivität fällt umso höher aus, je näher ein Unternehmen an einer Metropole angesiedelt ist. Forschungsstarke Unternehmen in städtischen Räumen profitierten am deutlichsten vom „Wissenstransfer innerhalb der Agglomerationsräume“, schreiben Belitz und Schiersch. Dieser Effekt bleibt auch dann bestehen, wenn man andere Einflussfaktoren herausrechnet.
Vergleicht man die Forschungsaktivitäten in den verschiedenen Großstädten untereinander, zeigen sich große Unterschiede: München und Stuttgart stehen aufgrund ihrer umfangreichen Unternehmensforschung mit deutlichem Abstand an der Spitze der Rangfolge der Forschungsregionen, gefolgt von Berlin. Über die meisten Forscher von Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen verfügen Berlin und München. Die beiden Städte sind zudem – anders als Stuttgart – auf die Forschung in Hochtechnologien spezialisiert und dabei stark diversifiziert. Die Zahl der Wissenschaftler im Bereich Forschung und Entwicklung, die in der Industrie arbeiten, ist in den letzten Jahren in Stuttgart und Berlin stärker gestiegen als in München. Anders ausgedrückt: Im Raum Stuttgart sind es vor allem die Industrieunternehmen selbst, die in Forschung und Entwicklung investieren, in Berlin profitiert die Wirtschaft besonders von der Nähe zu Hochschulen und anderen Forschungseinrichtungen. In München ist beides gegeben. „Die Unterschiede zwischen den forschungsstarken städtischen Regionen erfordern eine jeweils spezifische forschungs- und technologiepolitische Unterstützung“, schreiben Belitz und Schiersch. Ziel müsse es sein, den Wissenstransfer zwischen Unternehmen, Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen noch weiter zu stärken.
Gemischte Perspektiven für bestehende Industrien
Während sich aktuell viele Start-ups in Berlin ansiedeln, sieht die Lage bei etablierten Industrieunternehmen etwas anders aus. Zwar ist die Zahl der Industriebeschäftigten in Berlin nach jahrzehntelangem Rückgang seit 2010 wieder gewachsen – um fast zwei Prozent auf rund 117 000. In einer Umfrage unter Betriebsräten sowie Interviews in Industrieunternehmen aus den Bereichen Pharma sowie Medizin-, Energie- und Mobilitätstechnik und wirtschaftsnahen Einrichtungen zeigen sich jedoch gemischte Perspektiven, wie Ralf Löckener von der Beratungsgesellschaft Sustain Consult ermittelt hat.
Viele der Befragten sehen in der Digitalisierung Chancen – gerade am Standort Berlin mit seiner Vielzahl von Forschungseinrichtungen. Diese Potenziale werden vor allem von großen Industrieunternehmen genutzt. Zugleich berichten rund drei Viertel der Betriebsräte, dass in ihrem Betrieb über die Verlagerung von Tätigkeiten weg aus Berlin diskutiert werde. Nur rund 20 Prozent rechnen mit einer Verlagerung neuer Aufgaben in die Metropole. „Externe Industrieunternehmen sehen Berlin vielfach als besten Standort für die Ansiedlung von ausgelagerten Forschungszentren, den Aufbau von Angeboten spezieller Dienstleistungen oder Demonstrationsprojekte; die Produktion findet dann aber oft woanders statt“, schreibt Löckener.
Ralf Löckener, Martin Gornig: Herausforderungen für bestehende Industrieunternehmen am Beispiel Berlin (pdf), DIW-Wochenbericht Nr. 47, November 2018