Quelle: HBS
Böckler ImpulsLöhne: Staatsaufträge nur mit Tarif
Bei öffentlichen Aufträgen sollten Firmen zum Zuge kommen, die mehr zahlen als den gesetzlichen Mindestlohn. Möglichst nach Tarif. Und nicht nur die unterste Lohngruppe.
Der Staat hat ein einfaches und wirksames Instrument in der Hand, um den Niedriglohnsektor einzudämmen: Durch Vergabegesetze kann er festlegen, dass öffentliche Aufträge an Firmen gehen müssen, die ihren Beschäftigten mehr als das gesetzliche Minimum bezahlen. Das kann zum einen durch Vergabemindestlöhne geschehen, die über dem allgemeinen Mindestlohn liegen, zum anderen durch Tariftreuevorgaben, die eine Vergütung nach Branchentarifen vorschreiben. In einigen Bundesländern gibt es solche Regelungen für faire Wettbewerbsbedingungen und existenzsichernde Löhne bereits, andere werden nachziehen, erwartet WSI-Forscher Thorsten Schulten. Beim Thema Tariftreue liege das vor allem an einer Verbesserung der europarechtlichen Rahmenbedingungen, sagt der Experte für Lohnpolitik.
2008 hatte der Europäische Gerichtshof (EuGH) im sogenannten Rüffert-Urteil entschieden, dass das Land Niedersachsen nicht auf der Einhaltung eines – nicht allgemeinverbindlich erklärten – Bautarifvertrages bestehen dürfe, weil dies gegen die europäische Dienstleistungsfreiheit verstoße. In der Folge wurden Tariftreueklauseln vielerorts gestrichen oder gestutzt. Allerdings, so Schulten, habe „sich die europarechtliche Situation“ in den 2010er-Jahren „grundlegend verändert“. Das ergebe sich aus einer veränderten Rechtsprechung des EuGH sowie aus neuen EU-Richtlinien. Heute stehe Tariftreueregeln nichts mehr im Wege, weshalb etwa in Brandenburg, Hamburg, Bremen und dem Saarland neue Regelungen diskutiert würden. Thüringen und Berlin haben als erste Bundesländer bereits Vergabegesetze mit umfassenden Tariftreuevorgaben für alle Branchen verabschiedet.
Um die Wirksamkeit von Tariftreueregeln sicherzustellen, sind laut Schulten zwei Punkte besonders wichtig. Zum einen müssten die Vorgaben nicht nur für das Land gelten, sondern auch für die Kommunen, die den Großteil der Aufträge an private Unternehmen vergeben. Zum anderen gelte es, jeweils das „gesamte Tariflohngitter“ zu berücksichtigen – es reiche als faires Vergabekriterium nicht aus, wenn beispielsweise alle auf einer öffentlichen Baustelle Beschäftigten nach der niedrigsten Tariflohngruppe bezahlt werden.
Thorsten Schulten: Vergabemindestlohn und Tariftreue in Brandenburg, WSI Policy Brief Nr. 49, Februar 2021