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Staat mildert Kaufkraftverlust Böckler Impuls

Inflation: Staat mildert Kaufkraftverlust

Ausgabe 10/2023

Die Preissteigerungen kosten viele Haushalte 2023 zwei bis drei Prozent ihrer Kaufkraft – die staatlichen Entlastungsprogramme verhindern Schlimmeres.

Dabei wären die Verluste ohne die Entlastungsprogramme der Bundesregierung noch weitaus größer ausgefallen. Die Kombination aus Entlastungen bei Steuern und Sozialabgaben, höheren Sozialleistungen, Preisbremsen und Direktzahlungen sei „angekommen“, konstatieren Sebastian Dullien, Katja Rietzler und Silke Tober. Die Forschenden stellen fest, dass der Staat die privaten Haushalte in Deutschland „in der aktuellen Phase überschießender Inflation sowohl preislich als auch nicht-preislich massiv entlastet und damit den Verlust an Kaufkraft spürbar begrenzt hat“. Das gelte gerade im unteren Einkommenssegment. 

Als wirkungsvoll stufen die Fachleute des IMK auch die steuer- und abgabenfreien Inflationsausgleichsprämien ein, die in vielen Lohnabschlüssen ergänzend zu tabellenwirksamen Erhöhungen eine Rolle spielen. Die Prämien könnten den Kaufkraftverlust massiv verringern und in Einzelfällen sogar ganz aufheben.

In ihrer Untersuchung berechnen die Forschenden für 13 verschiedene Haushaltstypen von Erwerbstätigen, wie sich Brutto- und Nettoeinkommen zwischen 2021 und 2023 entwickelt haben. Die Haushalte unterscheiden sich nach Personenzahl, Zahl der Erwerbstätigen sowie Einkommen und reichen von einer alleinlebenden Person mit Niedrigverdienst bis zur vierköpfigen Familie mit Doppelverdienst und sehr hohem Einkommen. Modellrechnungen zeigen für einzelne Haushaltstypen, wie sich Inflationsausgleichsprämien in unterschiedlicher Höhe auswirken.

Datenbasis für die Studie ist die repräsentative Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS) des Statistischen Bundesamts, angereichert mit weiteren Zahlen, etwa zum Steuertarif und zur gesamtwirtschaftlichen Lohnentwicklung. Weil nicht nur die Einkommen, sondern auch die Konsumausgaben berücksichtigt sind, trägt die Studie der Tatsache Rechnung, dass Haushalte mit niedrigeren Einkommen eine höhere Inflationsrate schultern müssen als Spitzenverdienende. Das liegt daran, dass die Preistreiber Haushaltsenergie und Nahrungsmittel in ihren Warenkörben ein besonders hohes Gewicht aufweisen.

Dullien, Rietzler und Tober kommen zu folgenden Ergebnissen:

Kalte Progression überkompensiert: Fast alle untersuchten Haushaltstypen haben 2023 mehr „netto vom brutto“ übrig als vor dem Inflationsschub 2021. Die staatlichen Entlastungen bei Steuertarif und Sozialabgaben glichen die sogenannte kalte Progression also mehr als aus. Bei den meisten Haushalten hat sich die Netto-Brutto-Relation um einen halben bis einen Prozentpunkt verbessert. Überdurchschnittlich groß ist der relative Effekt bei Singles, die im Midijobbereich mit geringem Verdienst arbeiten, sowie bei Beschäftigten, die einen Teil ihrer Lohnerhöhungen in diesem Jahr als steuerfreie Inflationsausgleichsprämien erhalten. In absoluten Beträgen profitieren Alleinlebende mit Spitzeneinkommen am stärksten, gefolgt von Familien mit zwei Kindern und hohen Einkommen. Die einzige Ausnahme stellen Beschäftigte dar, die in Vollzeit zum Mindestlohn arbeiten. Der leichte Rückgang der Netto-zu-Brutto-Quote im Jahr 2023 im Vergleich zu 2021 ist bei ihnen aber nicht auf die kalte, sondern auf die ganz normale Steuerprogression zurückzuführen. Das liegt am hohen Lohnzuwachs von 14 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Trotz der Mehrbelastung bei Steuern und Abgaben stieg ihr Nettoeinkommen deutlich stärker als die Inflation.

Höherer Mindestlohn wirkt – mit Abstrichen: Die Erhöhung des Mindestlohns auf 12 Euro hat verhindert, dass Beschäftigte im Niedriglohnbereich noch stärker von der Preisexplosion betroffen waren. Vollzeitbeschäftigte mit Mindestlohn haben in diesem Jahr, netto und bereinigt um ihre überdurchschnittliche haushaltsspezifische Inflationsrate, 1353 Euro oder 7,8 Prozent mehr Kaufkraft als 2021. Allerdings steckt in diesen Zahlen auch ein Wermutstropfen, so die Forschenden. Schließlich war es ein Ziel der Mindestlohnerhöhung, die verfügbaren Einkommen im Niedriglohnbereich deutlich zu erhöhen. Das sei wegen der Inflation „wohl nicht in der intendierten Größenordnung“ geschehen.

Ausgleichsprämie hat kurzfristig erheblichen Effekt: Die im Rahmen der „konzertierten Aktion“ entwickelte Möglichkeit zur steuer- und abgabenfreien Prämienzahlung durch die Arbeitgeber ist zwar auf insgesamt 3000 Euro bis Ende 2024 begrenzt. In der aktuellen Situation mit weiterhin sehr hoher Inflation kann sie aber einen erheblichen Beitrag zur Kaufkraftstabilisierung leisten. Das zeigt das IMK mit Beispielrechnungen, an denen abzulesen ist, wie sich das Nettoeinkommen und die Kaufkraftlücke eines Haushaltstyps verändern, wenn der Arbeitgeber in diesem Jahr einen Teil des Bruttoeinkommens in Form einer Inflationsausgleichsprämie zahlt – aus Sicht der Beschäftigten also ein Teil der diesjährigen Lohnerhöhung in Form der Prämie kommt. 

Bei einer Prämie von 750 Euro reduziert sich die Kaufkraftlücke alleinlebender Facharbeitender von 746 auf 405 Euro gegenüber 2021. Mit einer Prämie von 1500 Euro bleibt bei diesem Haushaltstyp für 2023 nur noch ein geringer Kaufkraftverlust von 67 Euro. Bei Alleinlebenden mit hohen Einkommen macht eine Inflationsprämie von 1500 Euro sogar aus einem Kaufkraftverlust von 677 Euro einen Zugewinn von 121 Euro. Der Grund: Bei Personen mit hohem Einkommen und höherem Steuersatz schlägt die Steuerfreiheit stärker zu Buche. Aus Sicht der Arbeitgeber bedeute die Prämie trotz der erheblichen Höhe eine vergleichsweise moderate Kostenbelastung, so das IMK. Das sei makroökonomisch wichtig, um den Inflationsdruck zu begrenzen.

416 Euro durchschnittliche Entlastung durch Energiepreisbremsen: Auch die verschiedenen preislichen Entlastungsmaßnahmen, die die Bundesregierung 2022 und 2023 beschlossen hat, haben Dullien, Rietzler und Tober bei der Berechnung der Kaufkraftlücken einbezogen. Sie wirken indirekt, indem sie die Preisentwicklung dämpfen. Das gelingt insbesondere mit der Gas- und der Strompreisbremse in relevantem Maße, rechnen die Forschenden vor: Beide Instrumente zusammen reduzieren die Inflationsrate 2023 im Mittel um einen Prozentpunkt. Zusammen mit der verringerten Mehrwertsteuer auf Erdgas und Fernwärme entlastet das die Haushalte im Durchschnitt um 416 Euro in diesem Jahr.

Trotz der Preisdämpfung bleibe es finanziell attraktiv, Energie zu sparen, zeigen weitere Berechnungen des IMK: Durch eine zehnprozentige Senkung des Verbrauchs lassen sich in diesem Jahr je nach Haushaltsgröße, Verbrauch und Einkommen zwischen knapp 200 und rund 650 Euro einsparen.

Sebastian Dullien, Katja Rietzler, Silke Tober: Nettoeinkommen der Arbeitnehmenden: Spürbare Kaufkraftlücke trotz kräftiger staatlicher Entlastung, IMK Policy Brief Nr. 151, Juni 2023

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