Quelle: HBS
Böckler ImpulsArbeitszeit: Spätschicht schadet dem Familienleben
Beruf und Privatleben sind oft schwer zu vereinbaren. Lange oder unregelmäßige Arbeitszeiten stellen Beschäftigte vor besondere Probleme.
Kinder oder Karriere? Familiäre und berufliche Ansprüche unter einen Hut zu bringen, ist für viele Beschäftigte nicht einfach. Veränderungen in Arbeitswelt und Privatleben haben zwar traditionelle Geschlechterrollen aufgebrochen und für mehr Gleichberechtigung gesorgt. Doch das Vereinbarkeitsproblem habe sich damit eher verschärft, schreiben Sebastian Böhm von der Technischen Universität Braunschweig und Professor Martin Diewald von der Universität Bielefeld: Zum einen habe das Modell des männlichen Alleinernährers, das für die Rollenverteilung in Familien lange Zeit maßgeblich war, ausgedient. Frauen sind häufiger berufstätig, Kinder und Haushalt auch Sache der Männer. Zum anderen werde von Beschäftigten immer mehr Flexibilität verlangt.
Welche Faktoren im Einzelnen die Vereinbarkeit von Arbeit und Privatleben erschweren, haben Böhm und Diewald in einer empirischen Studie untersucht. Dafür analysierten sie Daten des DFG-Projekts „Beschäftigungsverhältnisse als sozialer Tausch“, das auf Befragungen von über 1.700 Beschäftigten in drei Universitäten, zwei Stahlunternehmen und einer Sparkasse basiert. Das Ergebnis: Eine bewusste Gestaltung der Arbeitsbedingungen ist wesentlich, um Konflikten zwischen beruflichen und privaten Verpflichtungen vorzubeugen. Neben der familiären Situation spielt das individuelle Arbeitsumfeld eine wichtige Rolle.
Generell haben der Studie zufolge weibliche Beschäftigte weniger Probleme als Männer, Arbeit und Familie in Einklang zu bringen. Allerdings zahlen sie einen hohen Preis: Konzessionen bei der Karriereplanung. Aufgrund der gerade in Deutschland nach wie vor verbreiteten traditionellen Geschlechterrollen bemühten sich viele Frauen von vornherein um Arbeitsplätze, die mit einem Familienleben vereinbar sind, vermuten die beiden Sozialforscher. Mit schulpflichtigen Kindern werde das schwieriger. Beschäftigte, deren jüngstes Kind drei bis elf Jahre alt ist, erlebten deutlich häufiger zeitliche Konflikte zwischen der beruflichen und der privaten Sphäre als Kinderlose. Böhm und Diewald machen das deutsche Schulsystem dafür verantwortlich: Berufstätige Mütter müssten wegen fehlender Ganztagsschulen oft viel Zeit für die Kinderbetreuung aufbringen.
Bei den Arbeitszeiten spiele neben der Länge vor allem die Lage eine Rolle. „Findet Arbeit häufig spät abends statt, kollidiert dies in besonderem Maße mit familiären und sozialen Aktivitäten.“ Darüber hinaus erschwerten tägliche Arbeitszeitschwankungen von ein bis zwei Stunden sowie häufig wechselnde Einsatzorte die Abstimmung zwischen Arbeit und Privatleben.
Auch Arbeitsplatzunsicherheit erhöhe das Risiko zeitlicher Konflikte, da sie als existenziell bedrohlich erlebt werde, schreiben die Autoren. Um dieser Bedrohung zu begegnen, engagierten sich viele Beschäftigte stärker im Job – auf Kosten der Familie. Positiv auf die Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben wirken sich der Studie zufolge unter anderem eine hohe Arbeitszeitflexibilität, gesunde Arbeitsbedingungen, familienfreundliche Vorgesetzte und eine gute Beziehung zu den Kollegen aus.
Alles in allem seien Arbeitsbelastungen wie besonders lange oder wenig planbare Arbeitszeiten zwar die entscheidenden Faktoren. Doch mehr Autonomie im Job kann die Folgen solcher Umstände zum Teil abmildern, betonen Böhm und Diewald. Beschäftigte mit „hoher Autonomie über den eigenen Zeitplan“, die die Abfolge ihrer Arbeitstätigkeiten selbst bestimmen können, seien bei überlangen Arbeitszeiten zumindest eher in der Lage, Konflikte zwischen Beruf und Familie zu vermeiden, als Kollegen ohne entsprechende Spielräume. Der Einfluss beruflicher Belastung auf das Privatleben sei also „kein Schicksal, sondern kann gestaltet werden“.
Sebastian Böhm, Martin Diewald: Auswirkungen belastender Arbeitsbedingungen auf die Qualität privater Lebensverhältnisse, in: WSI-Mitteilungen 02/2012.