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HBS Böckler Impuls

Europäische Union: Sozialpolitische Richtlinien: Umsetzung kann Jahre dauern

Ausgabe 16/2005

Welche Auswirkungen hat die europäische Sozialpolitik eigentlich auf die Mitgliedstaaten? Bringt die EU überhaupt höhere Sozialstandards? Die Studie einer Forschungsgruppe am Kölner Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung kommt zu dem Schluss: Die Richtlinien aus Brüssel sind besser als ihr Ruf, mit der Umsetzung in den Ländern hapert es noch krass.

In den 15 alten EU-Ländern hat das Forschungsteam das Schicksal von sechs arbeitsrechtlichen Richtlinien untersucht. Mit ihnen habe die EU ihre Mitglieder durchaus unter Reformdruck gesetzt. Beispiel Arbeitszeit: Bei der Verabschiedung der Arbeitszeitrichtlinie 1993 überschritten neun der 15 Länder die wöchentliche Höchstarbeitszeit von 48 Stunden inklusive Überstunden. Großbritannien musste sogar erstmals gesetzliche Limits einführen, Österreich wichtige Bereiche des Gesundheitswesens einbeziehen. Deutschland sah sich gezwungen, den gesetzlichen Mindesturlaub von drei auf vier Wochen zu erhöhen. Ähnlich deutliche Verbesserungen gab es beim Mutterschutz in Großbritannien, beim Elternurlaub in Dänemark, Großbritannien und Luxemburg oder bei der Teilzeitarbeit in Dänemark und Schweden.

Doch viele dieser fernab in Brüssel beschlossenen sozialen Verbesserungen bleiben zunächst auf dem Papier stehen. Die Wissenschaftler stellen ernüchternd fest, "dass die Disziplin der Mitgliedsstaaten bei der Umsetzung der arbeitsrechtlichen EU-Richtlinien in nationales Recht außerordentlich mangelhaft ist". Ihr Ranking zeigt, um wie viele Monate die einzelnen Staaten die Umsetzungsfristen überzogen haben. Deutschland liegt auf Rang 9. Es überschreitet seine Fristen im Schnitt um 40,8 Monate, also um mehr als drei Jahre. An der Spitze stehen die Niederlande mit "nur" 14,9 Monaten, das Schlusslicht bildet Frankreich mit 53,1 Monaten.

Bei der Arbeitszeitrichtlinie hat Deutschland gemeinsam mit Schweden, Belgien und Portugal die Fristen (bis zum Ende des Untersuchungszeitraums im April 2003) um 78 Monate, also sechseinhalb Jahre, überzogen. Für die Arbeitnehmer bedeutet dies, dass sie, auf die sozialen Verbesserungen "oft sehr viel länger warten müssen, als dies der europäische Gesetzgeber vorgesehen hatte, und dass sie ihre Rechte teilweise nur durch viel Eigeninitiative (im Extremfall vor Gericht) durchsetzen können".

Manchmal preschen die Deutschen aber auch vor

Allerdings, auch das hat die Studie herausgefunden, liegt Deutschland EU-weit vorn, wenn es darum geht, unverbindliche Empfehlungen in deutsches Recht umzusetzen oder die EU-Rechtsstandards überzuerfüllen. Simone Leiber vom WSI* nennt dafür beispielsweise das Recht auf Teilzeitarbeit, das die rot-grüne Regierung eingeführt hat; empfohlen war lediglich eine Nicht-Diskriminierung von Teilzeitarbeit.

Warum die bisweilen einstimmig getroffenen EU-Entscheidungen scheinbar so widerwillig umgesetzt werden, hat einen kulturellen Hintergrund, so die Studie: Es hängt davon ab, wie gern sich die einzelnen Staaten generell an Regeln halten, also welche "Kultur der Rechtsbefolgung" dort herrscht.

Unter dem Strich hat die EU sehr wohl bessere soziale Bedingungen für alle Mitgliedsländer und damit auch für sämtliche europäischen Arbeitnehmer geschaffen, konstatiert das Forschungsteam: "Es ist gelungen, Dumpingprozessen bei einer relativ breiten Palette von einzelnen arbeitsrechtlichen Standards entgegen zu wirken." Von einer völligen Angleichung der sozialen Standards, vor allem wenn es um die
dadurch höheren Arbeitskosten geht, ist jedoch nicht auszugehen. Das heißt: Die Wettbewerbsbedingungen im Binnenmarkt sind immer noch sehr unterschiedlich. Zumindest aber, so ein Fazit der Studie, "bestehen heute fraglos weniger große Niveauunterschiede, als es ohne die Richtlinien der Fall gewesen wäre".

  • Welche Auswirkungen hat die europäische Sozialpolitik eigentlich auf die Mitgliedstaaten? Bringt die EU überhaupt höhere Sozialstandards? Die Studie einer Forschungsgruppe am Kölner Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung kommt zu dem Schluss: Die Richtlinien aus Brüssel sind besser als ihr Ruf, mit der Umsetzung in den Ländern hapert es noch krass. Zur Grafik

Gerda Falkner, Oliver Treib, Miriam Hartlapp, Simone Leiber: Complying with Europe. EU Harmonisation and Soft Law in the Member States, Cambridge University Press 2005
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