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HBS Böckler Impuls

Sozialpolitik: Soziale Sicherheit: Marktlösung mit Tücken

Ausgabe 02/2011

Märkte können helfen, sozialpolitische Ziele zu erreichen. Dafür müssen allerdings anspruchsvolle Voraussetzungen erfüllt sein. Häufig stehen den Bürgern Informationsdefizite im Weg - und ihre Neigung, sich auf Märkten nicht immer rational zu verhalten.

In den vergangenen Jahren wurden in Deutschland etliche Märkte zur Lösung sozialpolitischer Probleme eingeführt. So geben Arbeitsagenturen Gutscheine für private Vermittler aus und die Bürger können zwischen konkurrierenden Krankenkassen wählen. Außerdem fördert der Staat den Abschluss kommerzieller Altersvorsorge-Versicherungen.

Solche Wohlfahrtsmärkte sind jedoch ein problematisches Instrument, darauf weist Florian Blank vom WSI hin. Der Sozialexperte stellt nach einer Auswertung empirischer Studien fest: Ein Marktmechanismus kann in der Sozialpolitik nur dann Nutzen stiften, wenn recht hohe Voraussetzungen erfüllt sind. Dazu muss der Staat einen transparenten Markt schaffen und möglichst vielen Nutzern den Zugang gewähren. Die Bürger benötigen zudem umfangreiche Informationen sowie die Fähigkeit, die für sie richtige Marktentscheidung zu treffen. In der Praxis zeigt sich jedoch, dass diese Voraussetzungen oft nicht für alle Betroffenen erfüllt sind.

Märkte entfalten ihre Vorzüge, wenn die Nutzer aus Eigeninteresse die sozialpolitisch richtigen Entscheidungen treffen, schreibt Blank. Wann sind sie dazu in der Lage? Auf den Wohlfahrtsmärkten wird die Kompetenz der Bürger mal durch einen Überfluss, mal durch einen Mangel an Informationen eingeschränkt. Bei der Alterssicherung ist es eher ein Überfluss: Im November 2009 standen der Studie zufolge über 5.000 zertifizierte, aber nicht standardisierte Riester- und Rürup-Renten zur Wahl. Eine rationale Wahl lässt sich mit vertretbarem Aufwand kaum treffen. Ein ähnliches Dilemma findet sich im Gesundheitssystem. Patienten dürfen zwar den Arzt und das Krankenhaus wählen, können deren Qualität aber nur schwer einschätzen. Man müsse von einer "permanenten Informations-Asymmetrie" ausgehen, so der Wissenschaftler. Ebenso haben Bürger Schwierigkeiten, die richtige Krankenkasse auszuwählen.

Informationen erreichen vor allem jene nicht, die sie am meisten benötigen. Bürger geben zwar stets an, Beratung für wichtig zu halten - über bereits vorhandene Angebote wissen sie jedoch nur wenig. Evaluationen des Info-Programms "Altersvorsorge macht Schule" zeigen zudem soziale Unterschiede. Es informierten sich vor allem Menschen mit überdurchschnittlicher Bildung und sicherer Arbeitsstelle, die häufig bereits ein Altersvorsorge-Produkt besaßen.  Ein ähnliches Muster zeigt sich bei Informations-Angeboten zur Gesundheit im Internet, so die Studie: "Gerade die Älteren und niedrig Qualifizierten, die häufiger krank sind und deswegen den größten Bedarf an Informationen haben müssten", nutzen die Angebote am seltensten.

Hinter der Einführung von Wohlfahrtsmärkten steht die Erwartung, dass sich die Nutzer so rational verhalten wie der Homo oeconomicus, das Leitbild der neoklassischen Ökonomie. Experimentelle Studien von Verhaltensökonomen weisen jedoch auf die Grenzen praktischer Rationalität hin. Menschen "neigen zu Aufschiebeverhalten, bewerten Informationen entsprechend ihrer Präsentation, können Informationen nur in begrenztem Umfang verarbeiten oder verzetteln sich in Details", so Blank. Der Glaube sei verbreitet, Dinge kontrollieren zu können, die kaum kontrollierbar sind. Selbst gut Ausgebildeten falle es schwer, den Nutzen einer Entscheidung richtig einzuschätzen, die so weit in die Zukunft reicht wie der Abschluss einer privaten Rente.

Staatliche Regulierung kann die Defizite der Wohlfahrtsmärkte zumindest etwas reduzieren. Blank regt eine Standardisierung von Produkten an, um "die Informationsüberflutung der Verbraucher" einzudämmen. Ein anderer Ansatzpunkt ist eine vertrauenswürdige öffentliche Alternative zu kommerziellen Anbietern zu schaffen. Das schwedische Beispiel eines öffentlich verwalteten Rentenfonds zeigt aber auch die Risiken: Der öffentliche Fonds erzielte schlechtere Ergebnisse als die privaten Angebote. Die Politik könnte zudem bei den Arbeitsbedingungen eingreifen. Für soziale Dienste und Beratungen ließen sich Mindeststandards für die Arbeit und damit auch für die Qualität festlegen.

Angesichts dieser Befunde sollte sorgfältig geprüft werden, ob Märkte in der Sozialpolitik tatsächlich das bessere Instrument sind, resümiert der WSI-Forscher. Schließlich gehe es in der Sozialpolitik vorrangig darum, ein gewünschtes Schutzniveau zu erreichen. Sie als Verbraucherpolitik zu betreiben, gerate rasch an Grenzen. Man müsse überlegen, "auf wie vielen Märkten die Bürger realistischerweise handeln können", so die Studie. Die Bürger müssten sich auf zahlreichen Märkten zurechtfinden, für Güter- und Dienstleistungen, auf dem Finanz- und Arbeitsmarkt. Es drohe eine Überforderung der Bürger.

 


Wohlfahrtsmärkte

entstehen durch staatliche Regulierung:

Der Staat schafft einen Markt, um ein sozialpolitisches Ziel zu erreichen. Solche Regelungen finden sich in fast allen Zweigen der Sozialpolitik.

Alterssicherung. Staatliche Zulagen und Steuerermäßigungen sollen die Angebote privater Versicherungen und Banken attraktiver machen und Bürger zum Sparen bewegen.

Gesundheit. Die Bürger können wählen, bei welcher gesetzlichen Kasse sie versichert sind; der Staat garantiert durch die Versicherungspflicht die Nachfrage. Über die kassenabhängigen Zusatzbeiträge gibt es einen Preiswettbewerb. Die Patienten haben zudem die freie Wahl unter Ärzten und Kliniken.

Pflege. Die Pflegeversicherung hat einen Markt geschaffen, auf dem private wie gemeinnützige Anbieter gleich gestellt sind.

Arbeit. Die Arbeitsagenturen können Gutscheine für private Vermittler und Weiterbildung vergeben, die aus der Arbeitslosenversicherung bezahlt werden.

Florian Blank: Wohlfahrtsmärkte in Deutschland - Eine voraussetzungsvolle Form der Sozialpolitik, in: WSI-Mitteilungen 1/2011

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