zurück
Sonderrechte für Konzerne Böckler Impuls

Handelsabkommen: Sonderrechte für Konzerne

Ausgabe 19/2023

Die geplanten EU-Handelsabkommen mit Chile und Mexiko räumen den Interessen privater Investoren einen hohen Stellenwert ein. Öffentliche Anliegen wie der Klimaschutz drohen zu kurz zu kommen.

Beim Schließen von Handelsabkommen ist die EU umtriebig: Die Liste der Partnerländer auf der Website der Kommission fällt lang aus und reicht von A wie Albanien bis V wie Vietnam. Seit 2016 wird auch mit Mexiko verhandelt, seit 2017 mit Chile. Die mit der chilenischen Seite vereinbarten Vertragstexte liegen dem Europäischen Rat bereits zur Unterschrift vor. Thomas Fritz von der Nichtregierungsorganisation Powershift hat mit Unterstützung der Hans-Böckler-Stiftung und des Umweltinstituts München analysiert, wie die beiden Abkommen in puncto Nachhaltigkeit zu bewerten sind. Er kommt zu dem Ergebnis, dass die vorgesehenen Regelungen zum Investitionsschutz die staatliche Handlungsfähigkeit teilweise deutlich einschränken. Eingriffe in die Wirtschaft zugunsten von sozialen oder ökologischen Belangen könnten insbesondere in den Partnerländern erschwert werden.

Der Investitionsschutz in Handels- und Investitionsabkommen umfasst laut Fritz üblicherweise sowohl inhaltliche Vorgaben als auch Verfahrensregeln. Einerseits werde zum Beispiel die Enteignung von Investoren untersagt, andererseits festgelegt, wie sich Betroffene gegen Verstöße juristisch wehren können. In den meisten Investitionsabkommen sei das Instrument des „Investor-State Dispute Settlement“ (ISDS) vorgesehen. Dabei können ausländische Unternehmen vor privaten Schiedstribunalen gegen staatliche Regulierung klagen. Von den drei Schiedspersonen ernennen die beiden Streitparteien je eine, den Vorsitz wählen sie gemeinsam aus.

In die Kritik geraten sei dieses System wegen der klaren Unwucht zugunsten der Investoren, heißt es in der Studie. Von 890 bekannten ISDS-Verfahren, die zwischen 1987 und 2022 abgeschlossen wurden, hätten sich zwei Drittel für die klagenden Unternehmen ausgezahlt, die entweder das gewünschte Urteil erwirken, einen Vergleich herausholen oder ihre Klage fallen lassen konnten. Besonders häufig sei es um staatliche Auflagen zu Umweltschutz, fossilen oder erneuerbaren Energien gegangen. In über 50 Fällen hätten ISDS-Tribunale Regierungen zu Entschädigungszahlungen von über 100 Millionen US-Dollar verurteilt, mehrfach sei auch die Milliardengrenze schon überschritten worden. Infolgedessen reiche gerade in ärmeren Ländern die Androhung einer Klage oft aus, um unliebsame Gesetze zu verhindern – und beispielsweise die Dekarbonisierung der Wirtschaft zu verzögern.

Newsletter abonnieren

Alle 14 Tage Böckler Impuls mit Analysen rund um die Themen Arbeit, Wirtschaft und Soziales im Postfach: HIER anmelden!

In der EU habe mittlerweile ein „partielles Umdenken“ eingesetzt, schreibt Fritz. Im Mai 2020 haben sich 23 EU-Staaten auf die Kündigung bilateraler Investitionsschutzabkommen geeinigt, die sie untereinander geschlossen hatten, vorher hatte der Europäische Gerichtshof Schiedsklauseln in Abkommen zwischen EU-Staaten als rechtswidrig eingestuft. Die EU-Kommission hat 2015 eine Reform des ISDS-Verfahrens angestoßen und als Alternative das „Invest­ment Court System“ (ICS) entwickelt, das bereits in den Abkommen mit Kanada, Singapur und Vietnam verankert sowie für diejenigen mit Chile und Mexiko vorgesehen ist. Die Neuerung: Die Mitglieder des Tribunals werden per Zufall aus einem Kreis von neun Schiedspersonen ausgewählt, die von einem bilateralen Aufsichtsgremium ernannt werden und eine laufende Vergütung für ihre Verfügbarkeit erhalten. Zusätzlich gibt es ein ständiges Berufungstribunal aus sechs Schiedspersonen, aus denen bei Bedarf ebenfalls per Zufall drei ausgewählt werden. Darüber hinaus will sich die EU für ein multilaterales Investitionsgericht einsetzen, Partnerländer sollen sich dazu ebenfalls verpflichten.

Dem neuen System bescheinigt der Experte zwar „punktuelle Verbesserungen“ gegenüber dem ISDS-Modell. Diverse grundsätzliche Probleme blieben aber ungelöst. Das betreffe zum einen die „Asymmetrie“ im Verhältnis zwischen Investoren und dem Rest der Gesellschaft: Ausländische Unternehmen seien nach wie vor die Einzigen, die sich an die Schiedstribunale wenden können, während staatlichen Stellen, Verbänden oder Bürgerinnen und Bürgern dieser Klageweg nicht offensteht. Damit hätten die Mitglieder von Tribunalen einen Anreiz, zugunsten der Investoren zu entscheiden. Denn die Tagessätze, die es bei Verhandlungen zusätzlich zur monatlichen Vergütung gibt, seien mit etwa 3000 Dollar hoch. Es lohne sich also, im Interesse derjenigen zu urteilen, die als Einzige Klagen einreichen können.

Ein weiteres Manko macht Fritz in den „unzureichenden Anforderungen an die Qualifikation der Schiedspersonen“ aus. Vorausgesetzt würden Expertise im Völkerrecht und wenn möglich Erfahrungen im Handels- und Investitionsrecht, dagegen keinerlei Kenntnisse in anderen Bereichen wie dem Sozial- oder Umweltrecht. Zudem sei in den Vertragstexten nicht festgeschrieben, wie genau die Schiedspersonen benannt werden sollen oder ihre Eignung nachzuweisen ist. Die Beteiligung von Parlamenten oder der Öffentlichkeit sei offenbar nicht vorgesehen.

Auch die neuen inhaltlichen Vorgaben sieht der Fachmann kritisch: Zwar werde zum Teil präzisiert, was zum Beispiel unter der „fairen und gerechten Behandlung“ von Investoren zu verstehen ist oder wie Entschädigungen zu berechnen sind. Vieles bleibe aber vage, sodass es für die Tribunale nach wie vor einen erheblichen Spielraum gibt. Wenn etwa im Abkommen mit Mexiko explizit steht, dass die „legitimen Erwartungen“ von Unternehmen zu berücksichtigen seien, mache das rechtliche Neuerungen, die sich auf die Geschäfte von Investoren auswirken, grundsätzlich angreifbar.

Die Folgen für die Partnerländer könnten laut dem Autor erheblich sein, als ein Beispiel verweist er auf die sozial-ökologische Reform des Bergbaus, die die mexikanische Regierung im Mai 2023 verabschiedet hat. Diese Reform laufe unter anderem darauf hinaus, dass Unternehmen für die Genehmigung von Bergbauprojekten soziale Folgeabschätzungen einreichen, Konsultationen in betroffenen Dörfern und indigenen Gemeinden durchführen und die Zustimmung von Gemeinden einholen müssen. Internationale Anwaltskanzleien hätten betroffenen Konzernen daraufhin prompt Beratung zu Investitionsschutzklagen angeboten.

Fritz empfiehlt, statt auf internationale Schiedsverfahren auf eine Stärkung der Rechtssysteme in Drittstatten zu setzen. Damit Behörden staatliche Auflagen gegenüber transnationalen Unternehmen durchsetzen können, sollte die EU ihnen bei Bedarf Rechtshilfe leisten. Zudem könnte sie sich zu einem „sozial-ökologischen Investment Screening“ verpflichten, das die Auslandsinvestitionen europäischer Firmen einer Nachhaltigkeitskontrolle unterwirft. Insgesamt gelte es zu bedenken, dass Investitionsschutz in demokratischen Gesellschaften nur dann akzeptiert wird, wenn die Bevölkerung in gleichem Maße vor schädlichen Machenschaften transnationaler Konzerne geschützt wird.

Zugehörige Themen

Der Beitrag wurde zu Ihrem Merkzettel hinzugefügt.

Merkzettel öffnen