Quelle: HBS
Böckler ImpulsUnternehmensmitbestimmung: SE-Gründungen: Viele nur auf dem Papier
Trotz Europäischer Aktiengesellschaft SE: Der Organisationsrahmen der Unternehmensmitbestimmung in Deutschland bleibt auf absehbare Zeit stabil.
Die Zahl Europäischer Aktiengesellschaften (Societas Europaea, SE) nimmt weiter zu. Die europäischen Handelsregister verzeichnen 814 Unternehmen mit der seit 2004 existierenden Rechtsform SE. Aber nur 183 davon sind „normale“ SEs, das heißt operativ tätige Gesellschaften mit wenigstens fünf Mitarbeitern. Von den übrigen stehen viele lediglich auf dem Papier. Oft handelt es sich um so genannte Vorratsgründungen. Dass diese plötzlich massenhaft „aktiviert“ werden, ist nach Roland Köstlers Einschätzung unwahrscheinlich.
Der Experte für Unternehmensrecht der Hans-Böckler-Stiftung spricht von einer „Sättigung des Marktes für die Rechtsform Europäische Aktiengesellschaft“. So sind in der ersten Jahreshälfte 2011 in Deutschland gerade einmal fünf neue normale Unternehmen dazugekommen – und im Gegenzug drei aus dem Kreis der Europäischen Aktiengesellschaften ausgeschieden. Zwei Unternehmen haben sich entschieden, die Rechtsform SE gegen die der GmbH zu tauschen, eins musste Insolvenz anmelden. Insgesamt gibt es damit nun 87 normale SEs in Deutschland.
Aus der Entwicklung der SE-Landschaft lässt sich Köstler zufolge ablesen, dass das Interesse der Unternehmen an einer europäischen Gesellschaftsform geringer ist, als etwa die EU-Kommission annimmt. Letztere hatte sich offensichtlich mehr SE-Gründungen versprochen und erwägt daher eine Revision des entsprechenden EU-Rechts, so Köstler. Allerdings sei völlig unklar, welchen Erfolgsmaßstab die Kommission bei der Bewertung der bisherigen Entwicklung anlegt: Wie viele Europäische Aktiengesellschaften müsste es denn geben, damit die SE als Erfolg gelten kann?
Aufsichtsräte bleiben. Auch in einem weiteren Punkt widerlegt die Empirie einige der mit der SE verknüpften Erwartungen, stellt der Experte fest: Die neue Rechtsform wird keineswegs massenhaft genutzt, um die angeblich ungeliebte dualistische Leitungsstruktur mit getrennten Vorstands- und Aufsichtsratsgremien loszuwerden. 60 der normalen SEs in Deutschland haben weiterhin Vorstand und Aufsichtsrat, nur 27 Unternehmen haben die mit der SE verbundene Möglichkeit genutzt, stattdessen eine monistische Struktur mit einem Verwaltungsrat einzuführen.
Aus mitbestimmten AGs werden auch mitbestimmte SEs. 41 der 87 aktiven deutschen SEs liegen bei der Beschäftigtenzahl unter den Schwellenwerten für die Unternehmensmitbestimmung. Von den 33 SEs mit 500 bis 2.000 Mitarbeitern haben 16 einen Aufsichtsrat, der zu einem Drittel mit Arbeitnehmervertretern besetzt ist. Von den 13 SEs über 2.000 Mitarbeiter haben 11 einen paritätisch besetzten Aufsichtsrat. Wobei für die Unternehmen, deren Mitarbeiterzahl eigentlich eine Arbeitnehmerbeteiligung im Aufsichtsrat erfordern würde, gilt: Sie hatten auch vor dem Rechtsformwechsel keinen mitbestimmten Aufsichtsrat. Im Falle der Drittelbeteiligung etwa, weil bei Holdings in bestimmten Fällen nur ein Teil der Beschäftigten gezählt wird, wenn es um die Beteiligungsschwelle geht. Wie sich die Mitbestimmung im monistischen System gestaltet, lasse sich bislang nicht sagen, so Köstler. Dies müsse sich zeigen, wenn die neue Puma SE demnächst einen Verwaltungsrat mit drei Arbeitnehmervertretern einrichtet.
Was die Vertretung der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat betrifft, sieht der Rechtsexperte das größte Problem darin, dass sich die Mitbestimmung mithilfe der SE „einfrieren“ lässt: Wandeln die Eigentümer ein wachsendes Unternehmen in eine SE um, bevor die Beschäftigtenzahl die Mitbestimmungsgrenze erreicht, so bleibt es ohne Unternehmensmitbestimmung – auch wenn es noch so groß wird.
Kasten:
Von der AG zur SE: Was passiert mit der Mitbestimmung?
Im Vorfeld eines Rechtsformwechsels müssen zunächst die Mitbestimmungsrechte der Arbeitnehmer im neuen Unternehmen geklärt werden. Gemäß dem SE-Beteiligungsgesetz (SEBG) wird hierzu ein „besonderes Verhandlungsgremium“ gebildet. Es besteht aus Vertretern der Beschäftigten aus allen Ländern, in denen das Unternehmen tätig ist. Dieses Gremium verhandelt mit der Unternehmensleitung über die Beteiligungsrechte: Betriebsräte und Aufsichtsratssitze. Kommt keine Einigung zustande, stellt das so genannte Vorher-Nachher-Prinzip sicher, dass die Arbeitnehmer-Anteilseigner-Proportionen im Aufsichtrat erhalten bleiben. Zudem wird in diesem Fall ein SE-Betriebsrat gebildet.
Roland Köstler ist Experte für Unternehmensrecht in der Hans-Böckler-Stiftung.