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HBS Böckler Impuls

Antidiskriminierungsgesetz: Schutz vor Diskriminierung schadet nicht dem Arbeitsmarkt

Ausgabe 08/2005

Obwohl der überarbeitete Entwurf zum Antidiskriminierungsgesetz (ADG) Zugeständnisse macht, warnen Wirtschaftsverbände und Opposition  weiter vor einer Klageflut mit Jobkiller-Effekt. Großbritannien oder die Niederlande zeigen indes: strikter Diskriminierungsschutz und gute Arbeitsmarktzahlen passen zusammen.

In England hat Vieles Tradition. Auch Antidiskriminierungsrechte. Vor rund 30 Jahren verboten erste Gesetze eine Benachteiligung aufgrund von Ethnie oder Geschlecht. Seit den 90er-Jahren schützt das englische Arbeitsrecht auch Behinderte vor Diskriminierung.

Ein Problem für die Wirtschaft? Dem Boom hat es offenbar nicht geschadet. Im vergangenen Jahrzehnt ist die Arbeitslosigkeit in Großbritannien gesunken, auf derzeit 4,8 Prozent. Ähnliches Bild in den Niederlanden: Als 1994 das Antidiskriminierungsgesetz erlassen wurde, suchten noch 7,1 Prozent der Holländer einen Job. Ende 2004 waren es um die 5 Prozent. Mehr Schutz vor Diskriminierung ergibt weniger Jobs - die Gleichung ist offensichtlich zu simpel.

Dabei sind die ADG in beiden Königreichen keine Papiertiger. Das niederländische Gesetz enthält eine lange Liste möglicher Diskriminierungstatbestände: Es fordert gleiche Behandlung unabhängig vom Geschlecht, von ethnischer Herkunft oder Nationalität, von Religion und Glauben, politischer und sexueller Orientierung oder Familienstand. Behinderungen oder chronische Krankheiten, das Alter oder eine Teilzeittätigkeit fallen ebenfalls in den Schutzbereich des Gesetzes. Das Beschwerdeverfahren bei der unabhängigen "Kommission für Gleichbehandlung" ist denkbar einfach: Um es in Gang zu setzen, genügt ein Brief, berichtet Arrien Kruyt, stellvertretendes Kommissionsmitglied.

Unternehmen verpflichten sich freiwillig

Auch die britische Gleichstellungsregelung greife im Alltag, resümiert Dr. Paul Skidmore, Rechtswissenschaftler an der University of Bristol und Forschungs-Fellow in Berlin. Befragungen zeigen, dass die Vorschriften in der Öffentlichkeit bekannt sind. Gut die Hälfte der privaten Unternehmen sind sogar freiwillige Selbstverpflichtungen eingegangen, die das gesetzliche Gleichbehandlungsgebot zum Ziel des eigenen Betriebs erheben. Skidmore zitiert Studien, wonach in Unternehmen, die sich aktiv gegen Diskriminierungen engagieren, ein besseres Arbeitsklima herrscht. Kritik am Antidiskriminierungsrecht gebe es kaum, so Skidmore. "Den Arbeitgebern wie den Arbeitnehmern ist mittlerweile bewusst, dass es die notwendigen Maßstäbe für eine transparentere und gerechtere Personalpolitik setzt."

In einem Punkt unterscheiden sich die britischen und die niederländischen Erfahrungen allerdings stark: bei der Zahl der Klagen. Rund 23.000 Klagen wegen des Verstoßes gegen eine Antidiskriminierungsvorschrift zählte die britische Statistik für den Zwölfmonatszeitraum 2003/2004. Dagegen gingen in den Niederlanden 2004 gerade einmal 428 neue Beschwerden nach dem ADG ein. Die unterschiedliche Bevölkerungszahl herausgerechnet, bleibt die Differenz enorm: Pro 100.000 Britinnen und Briten werden 40 Diskriminierungsklagen gestellt, während es in den Niederlanden nicht einmal drei sind - bei durchaus vergleichbaren Gesetzen.

Klagefreudige Briten, duldsame Holländer? Der scheinbare Widerspruch relativiert sich, wenn man das arbeitsrechtliche Umfeld betrachtet, insbesondere den allgemeinen Kündigungsschutz. Der ist in den Niederlanden traditionell sehr streng. In Großbritannien sind Arbeitnehmer dagegen weniger stark abgesichert - im ersten Jahr der Betriebszugehörigkeit gar nicht. Das wirkt sich nach Einschätzung von Prof. Dr. Heide Pfarr auf das Klageverhalten zur Gleichstellung aus: "Ein wesentlicher Teil der Kläger in Großbritannien weicht aufs ADG aus, weil sonst keine Möglichkeit bleibt", sagt die Arbeitsrechtlerin und Wissenschaftliche Direktorin des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) in der Hans-Böckler-Stiftung.

In Deutschland ist der Kündigungsschutz etwas schwächer als in den Niederlanden ausgeprägt, aber erheblich stärker als in Großbritannien. Deshalb dürfte das Antidiskriminierungsgesetz in der Bundesrepublik eher wirken wie in seiner Heimat, schätzt der niederländische Experte Kruyt: "Ich verstehe nicht, warum manche Arbeitgeber in Deutschland sich vor einer Klageflut fürchten." Auch Heide Pfarr hält diese Sorge für unbegründet - "es sei denn, das Kündigungsschutzgesetz wird weiter eingeschränkt. Das könnte auch bei uns Ausweichverhalten provozieren."

  • Obwohl der überarbeitete Entwurf zum Antidiskriminierungsgesetz (ADG) Zugeständnisse macht, warnen Wirtschaftsverbände und Opposition weiter vor einer Klageflut mit Jobkiller-Effekt. Großbritannien oder die Niederlande zeigen indes: strikter Diskriminierungsschutz und gute Arbeitsmarktzahlen passen zusammen. Zur Grafik

Vorträge Arrien Kruyt, Dr. Paul Skidmore beim Hans-Böckler-Forum für Arbeits- und Sozialrecht, Berlin 14.-15. April 2005

Sorgen vor Klageflut sind unbegründet, Beitrag in Böckler Impuls 02/2005

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