Quelle: HBS
Böckler ImpulsFinanzpolitik: „Wohlstandsverluste verhindern“
Das aktuelle Haushaltsdebakel hat auch die sogenannten Wirtschaftsweisen zum Umdenken gebracht. Der Sachverständigenrat (SVR) plädiert nun für Änderungen an der unnötig „starren“ Schuldenbremse. IMK-Direktor Sebastian Dullien begrüßt den Sinneswandel, hält aber eine weitergehende Modernisierung für nötig.
Nach dem Vorschlag des SVR hätte die Schuldenbremse nach der Coronakrise nicht gleich wieder mit voller Kraft zugegriffen. Wir wären jetzt in einer Übergangsphase,in der Defizite nur allmählich hätten reduziert werden müssen. Wären damit die Probleme gelöst?
Sebastian Dullien: Die Vorschläge des Sachverständigenrates gehen in die richtige Richtung. Der Rat geht dabei einen Teil der lange bekannten Probleme an und schlägt richtige pragmatische Änderungen vor. Gleichzeitig muss man sich aber klarmachen, dass die Vorschläge des SVR nur den kleinsten gemeinsamen Nenner unter Ökonominnen und Ökonomen für eine Reform ansprechen, weil sie ja auf dem Konsens eines Gremiums mit sehr unterschiedlichen wirtschaftspolitischen Grundansätzen und politischen Meinungen basieren.
Die Vorschläge des SVR sind ein guter Ausgangspunkt für eine breite Debatte, an deren Ende eine grundsätzliche Modernisierung der Schuldenbremse stehen sollte. Insbesondere bei der Frage der Kreditfinanzierung von Investitionen gehen sie nicht weit genug. Hier hätte Deutschland Spielraum für eine größere Kreditaufnahme, ohne dass die Schuldentragfähigkeit gefährdet wäre. Dass die Schuldenbremse diesen Spielraum nicht gewährt, schadet Deutschlands Wohlstand. Eine Reform sollte das berücksichtigen, etwa durch eine goldene Regel, die Kreditaufnahmen für zusätzliche Investitionen erlaubt.
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Was ist die goldene Regel?
Sie besagt, dass ein Anstieg der öffentlichen Verschuldung akzeptabel ist, solange ihm ein gleicher Anstieg des öffentlichen Vermögens gegenübersteht. Sprich: Wenn mit Krediten damit nachhaltige Investitionen finanziert werden, die auch kommenden Generationen Nutzen stiften oder – zum Beispiel im Umweltbereich – Schäden ersparen. Dieses Prinzip war ähnlich schon vor der Schuldenbremse im Grundgesetz verankert.
Ist es denn so eilig mit neuen Krediten?
Deutschland hat massiven Investitionsbedarf. Wenn der nicht befriedigt wird, droht die Deindustrialisierung des Landes und damit ein massiver künftiger Wohlstandsverlust. Dagegen zahlt der Staat heute Zinsen, die unterhalb der erwarteten Inflation liegen. Ein zu hoher Schuldenstand ist deshalb für Deutschland kein Problem, und in der Abwägung wären mehr Investitionen und mehr Schulden heute besser als weniger Investitionen und weniger Schulden.
Und wo muss der Staat investieren?
Investitionen in Deutschland sind derzeit vor allem notwendig im Bereich der klassischen Infrastruktur, dem Ausbau von erneuerbaren Energien und Energienetzen – einschließlich Wasserstoff – sowie im Bildungsbereich. Allein für die Modernisierung und den Ausbau der traditionellen Infrastruktur und des Bildungsbereiches hatten wir im IMK gemeinsam mit dem Institut der deutschen Wirtschaft bereits 2019 einen zusätzlichen Investitionsbedarf von rund 460 Milliarden Euro über zehn Jahre errechnet. Ein großer Teil dieses Bedarfs besteht weiterhin, weil in den vergangenen Jahren nur wenige der damals aufgezeigten Lücken geschlossen wurden. Zusätzlich sind die finanziellen Anforderungen für Investitionen in Klimaschutz und sozial-ökologische Transformation gewachsen, so dass der Gesamtbetrag heute deutlich höher liegen wird. Aber das ist gut investiertes Geld – und für Deutschland, das die niedrigste Staatsschuldenquote unter den großen G7-Ländern hat, problemlos finanzierbar.
Sebastian Dullien ist wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) in der Hans-Böckler-Stiftung