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HBS Böckler Impuls

Finanzpolitik: Schuldenbremse: Keine Lösung für Europa

Ausgabe 01/2012

Den Euroländern wird eine Schuldenbremse nach deutschem Vorbild als Weg aus der Krise empfohlen. Dies wäre jedoch gefährlich – für die Konjunktur, die Staatsfinanzen und sogar die Finanzmärkte, so das IMK.

Die Bundesrepublik hat es sich selbst auferlegt: das Verbot, über einen relativ eng gesteckten Rahmen hinaus neue Schulden aufzunehmen. Sorgen solch strenge Regeln in Sachen Staatsverschuldung für mehr Glaubwürdigkeit an den Finanzmärkten? Könnten sie also ein Vorbild sein für Länder wie Griechenland, Portugal oder Spanien? „Wir halten diese Logik grundsätzlich für falsch und für den Fortbestand des Euro extrem gefährlich“, schreiben dazu die IMK-Forscher Achim Truger und Henner Will.

Grundsätzlich falsch sei sie, „weil sie die Ursachen der Eurokrise in unzulässiger Weise auf eine unsolide Finanzpolitik in den gegenwärtigen Krisenstaaten verengt“, erläutern die beiden Volkswirte. Außenwirtschaftliche Ungleichgewichte sowie die Verantwortung der gegenwärtig wirtschaftlich stärkeren Euroländer würden fast vollständig ausgeblendet. Auch sei die Annahme längst widerlegt, Finanzmärkte würden ausschließlich rational agieren.

Im Kern besteht die deutsche Schuldenbremse aus einer Struktur- und einer Konjunkturkomponente sowie einer Ausnahmeklausel. Das bedeutet: Über den Konjunkturzyklus hinweg sollen die öffentlichen Haushalte annähernd ausgeglichen sein. Die strukturelle Netto-Neuverschuldung des Bundes darf 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts nicht überschreiten, den Bundesländern sind neue Kredite gänzlich verboten. Nur im Abschwung dürfen ihre Ausgaben die Einnahmen überschreiten – im Aufschwung müssen die Defizite aber wieder ausgeglichen werden. Lediglich in außergewöhnlichen Notsituationen ist es Bund und Ländern erlaubt, über ihre Verschuldungsgrenzen hinauszugehen.

Willkürliche Obergrenze. „Dass eine Obergrenze für die Schuldenstandsquote sinnvoll sein kann, ist unstreitig“, so Will und Truger. Allerdings laufe die Zielvorgabe der Schuldenbremse bei einem durchschnittlichen jährlichen Wirtschaftswachstum von nominal drei Prozent langfristig auf eine gesamtstaatliche Schuldenstandsquote von 11,7 Prozent hinaus. Die neuere empirische Literatur hält aber erst Werte von 80 oder 90 Prozent für problematisch. Denn anders, als viele Laien glauben, hat es gravierende Nebenwirkungen, wenn Staaten radikal auf Kreditfinanzierung verzichten. Erstens ist der finanzielle Rahmen für Investitionen dann sehr eng. Zweitens bekommen auch die Sparer ein Problem: Ohne die Emission deutscher Staatspapiere sei unklar, in welche Anlageform und in welche Länder die traditionell hohe Ersparnis der Deutschen in Zukunft fließen soll, geben die Autoren zu bedenken. „Die Finanzmärkte dürften langfristig dadurch deutlich instabiler werden.“

Ende der Goldenen Regel. Bislang hatte die Finanzpolitik sich eines weithin akzeptierten ökonomischen Maßstabs für die Höhe staatlicher Defizite bedient, stellen die beiden Ökonomen fest: der Goldenen Regel. Sie erlaubt eine strukturelle Neuverschuldung in Höhe der öffentlichen Investitionen – denn auch kommende Generationen profitieren noch von neuen Straßen oder Schulgebäuden.

Sparzwang zur Unzeit. Als möglicherweise größtes Problem sehen die IMK-Forscher, dass die Schuldenbremse „in einer Situation erheblich unterfinanzierter öffentlicher Haushalte eingeführt wurde“. Denn Bund, Länder und Gemeinden seien seit vielen Jahren immer wieder durch Steuersenkungen erheblich belastet worden. Einen strukturell nahezu ausgeglichenen Haushalt zu verlangen, bedeute über Jahre hinaus eine strikte Sparpolitik – und gefährde so Wachstum und Beschäftigung.

Kompliziertes Verfahren. Die von der Bundesregierung gewählte Methode zur Ermittlung des strukturellen Defizits sei „extrem komplex und allein dadurch schon in höchstem Maße intransparent und gestaltungsanfällig“, kritisieren Truger und Will. Zudem wirke das Verfahren prozyklisch, sprich: Im Abschwung werden die Staatsausgaben zu rigide begrenzt, im Aufschwung zu wenig. Schlimmstenfalls dürfte die deutsche Finanzpolitik mitten in einer europäischen Konjunkturkrise besonders wenig Schulden machen.

„Aus heutiger Sicht würde ich dem Bund dringend von einer solch präzisen Festlegung auf ein so unpräzises Verfahren abraten“, zitieren die beiden Volkswirte einen der Väter der Schuldenbremse, den ehemaligen rheinland-pfälzischen Finanzminister Ingolf Deubel. Dieser gestand mittlerweile selbst ein, dass er, „obwohl gelernter Finanzwissenschaftler und Ökonometriker – zum Zeitpunkt meiner Zustimmung die (...) Konsequenzen nicht in allen Facetten überschaut habe“. Ein Vorbild für die europäischen Nachbarn?

  • Die von der Bundesregierung gewählte Methode zur Ermittlung des strukturellen Defizits ist äußerst gestaltungsanfällig. Zur Grafik

Achim Truger, Henner Will: Gestaltungsanfällig und pro-zyklisch: Die deutsche Schuldenbremse in der Detailanalyse, in: Clemens Hetschko, Johannes Pinkl, Hermann Pünder, Marius Thye (Hrsg.): Staatsverschuldung in Deutschland nach der Föderalismusreform II – Eine Zwischenbilanz, Bucerius Law School Press, Hamburg, im Erscheinen

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