Quelle: HBS
Böckler ImpulsVerteilung: Schädliche Steuergeschenke
Steuersenkungen für Reiche haben keinen positiven Effekt auf das Wirtschaftswachstum oder die Arbeitslosigkeit. Aber sie vertiefen die Ungleichheit.
Die „Trickle-Down-Theorie“ hat unter Konservativen nach wie vor Fans. Die Behauptung: Steuerliche Entlastungen der Oberschicht kurbeln die Gesamtwirtschaft an und kommen so letztlich auch in den Geldbeuteln der breiten Masse an – wie bei einer Pyramide aus Champagnergläsern, die von oben befüllt wird. Ganz im Sinne dieser Theorie sind die Spitzensteuersätze auf Einkommen in den Industriestaaten in den vergangenen Jahrzehnten deutlich gesunken, von durchschnittlich etwa 60 Prozent Anfang der 1980er-Jahre bis auf unter 40 Prozent heute. Darauf weisen David Hope und Julian Limberg vom King’s College London hin. Die Politikwissenschaftler haben untersucht, wie sich solche Steuerentlastungen tatsächlich auswirken. Das Ergebnis: Sie machen die Gesellschaft ungleicher, nützen makroökonomisch aber nichts.
Für ihre Studie haben Hope und Limberg Daten für den Zeitraum von 1965 bis 2015 ausgewertet, die sich auf 18 OECD-Staaten beziehen, darunter die USA, Japan, Deutschland, Großbritannien und Frankreich. Um die Steuerbelastung von Reichen möglichst umfassend abzubilden, haben sie einen Indikator konstruiert, der auf insgesamt sieben Kennzahlen zu Einkommens-, Unternehmens- und Vermögenssteuern basiert und sowohl nominale als auch effektive Steuersätze berücksichtigt. Als „bedeutende Steuersenkungen“ wurden stark überdurchschnittliche Änderungen des Indikators nach unten definiert.
Ungleichheit nimmt substanziell zu
Den Berechnungen zufolge, bei denen auch Faktoren wie die Handelsoffenheit oder die Staatsausgaben statistisch berücksichtigt wurden, verschärfen solche deutlichen Steuerrabatte für die Oberschicht die Ungleichheit: Der Anteil des reichsten Prozents am Gesamteinkommen steigt innerhalb von drei Jahren im Schnitt um 0,6 Prozentpunkte, nach fünf Jahren um über 0,7 Prozentpunkte. Die Autoren halten das für eine „substanzielle Effektstärke“ – zumal es sich dabei um das Einkommen vor Abzug der Steuern handelt, es also nicht um einen rein technischen Zusammenhang geht. Das reale Bruttoinlandsprodukt pro Kopf und die Arbeitslosenquote werden dagegen weder kurz- noch mittelfristig messbar beeinflusst.
Steuersenkungen machen Reiche gieriger
Ihre Befunde betrachten Hope und Limberg als „starke empirische Evidenz“ gegen die These, dass Steuersenkungen für Reiche nach unten durchsickern und die Gesamtwirtschaft aufblühen lassen. Nichts deute darauf hin, dass Spitzenverdienende mehr arbeiten und investieren, wenn sie steuerlich entlastet werden. Dass in diesem Fall die Ungleichheit zunimmt, während kein positiver Effekt auf die Wirtschaftsleistung erkennbar ist, spreche eher dafür, dass Steuersenkungen Reiche animieren, sich noch aggressiver durchzusetzen – auf Kosten der unteren Etagen in der Einkommenspyramide.
David Hope, Julian Limberg: The economic consequences of major tax cuts for the rich, Socio-Economic Review, Januar 2022