zurück
HBS Böckler Impuls

Sozialversicherung: Rückzug der Arbeitslosenversicherung

Ausgabe 03/2011

Der Rückbau der Arbeitslosenversicherung hat den Sozialstaat nachhaltig verändert: Arbeitslosen­unterstützung nach den Grundsätzen der Sozialhilfe anstelle des Versicherungsprinzips ist inzwischen der Normalfall.

 

Anfang der 1990er-Jahre erhielten über 80 Prozent aller Erwerbslosen Leistungen vom Arbeitsamt, die weitgehend Versicherungscharakter hatten und deren Höhe vom früheren Verdienst abhing. Heute gilt das nur noch für 35 Prozent der Arbeitslosen. Darauf weisen die Sozialforscherinnen Claudia Bogedan, Simone Leiber und Eric Seils hin.

Vor den Arbeitsmarktreformen der vergangenen Dekade bekam der größte Teil der Erwerbslosen Arbeitslosengeld, ein kleinerer Teil Arbeitslosenhilfe. Deren Bezug war zwar an die Bedingung geknüpft, dass der betreffende Arbeitslose nicht über nennenswerte Zusatzeinkünfte oder Vermögen verfügte, sagt WSI-Sozialexpertin Claudia Bogedan.* Dennoch sei die Arbeitslosenhilfe eher eine Versicherungs- als eine Fürsorgeleistung gewesen - das werde besonders deutlich im Vergleich zum heutigen Arbeitslosengeld II. Beim ALG II ist eine strenge Bedürftigkeitsprüfung vorgeschaltet, wie es sie zuvor nur bei der Sozialhilfe gab.

Die Wissenschaftler listen eine Reihe von Faktoren auf, die zur Zunahme des Fürsorgeanteils zulasten des Versicherungsanteils bei der Arbeitslosenunterstützung geführt haben:

=> die Abschaffung der Arbeitslosenhilfe im Zuge der vierten Hartzreform;
=> die Verkürzung der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes seit 1998; 
=> verschärfte Zugangsvoraussetzungen beim Arbeitslosengeld; 
=> eine zunehmende Langzeitarbeitslosigkeit.

Am Beispiel der Arbeitslosenversicherung zeigt sich nach der Analyse besonders deutlich, wie stark der "Deckungsgrad" der Sozialversicherungen zurückgegangen ist. Sie bieten keine umfassende Absicherung der Lebensrisiken der Mittelschicht mehr. Die dafür verantwortlichen Sozialreformen seien mit "der angespannten Finanzsituation" begründet worden. Dabei dürfe aber nicht vergessen werden, dass die Einnahmeschwäche des Versicherungssystems ebenfalls von der Politik herbeigeführt wurde, die "die Erosion der Einnahmebasis der Sozialversicherungen durch Niedriglöhne und nicht-sozialversicherungspflichtige Beschäftigung bewusst in Kauf nahm und sogar förderte". 

  • Der „Deckungsgrad“ des Sozialstaats geht zurück. Zur Grafik

Claudia Bogedan, Simone Leiber, Eric Seils: Ergebnisse aus dem Projekt Sozialversicherung: Wandel, Wirkung, Weiterentwicklung, 2011

Impuls-Beitrag als PDF

Zugehörige Themen

Der Beitrag wurde zu Ihrem Merkzettel hinzugefügt.

Merkzettel öffnen