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HBS Böckler Impuls

Zeitarbeit: Rücksichtsloses Unterbieten: Ausweg Entsendegesetz

Ausgabe 20/2006

In den untersten Lohngruppen ist Leiharbeit häufig nicht existenzsichernd. Abhilfe schaffen könnte eine Ausweitung des Arbeitnehmerentsendegesetzes auf die Zeitarbeitsbranche, so das Ergebnis eines Gutachtens von Professor Thomas Dieterich.

Die Leiharbeitsbranche befindet sich in einem tarifpolitischen Abwärtssog. Zwar gilt seit 2003 das Prinzip des "equal pay" - Zeitarbeitnehmer in einem Betrieb müssen so gestellt werden wie die Beschäftigten, die dort fest angestellt sind. Dies gilt jedoch nicht, wenn für Leiharbeiter ein eigener Tarifvertrag existiert. Eine Vereinbarung zwischen der DGB-Tarifgemeinschaft und dem Bundesverband Zeitarbeit vom Februar 2003 sah einen Stundenlohn von elf Euro für einfache Facharbeit vor. Damit gab es eine Übereinkunft mit den großen Unternehmen der Branche. Die sonst weitgehend bedeutungslose christliche Gewerkschaftsbewegung vereinbarte jedoch parallel Tarifverträge. Diese Abkommen lagen weit unter dem DGB-Niveau.

Weitere Verbands- und eine Vielzahl von Haustarifverträgen haben die Mindeststundensätze für die unterste Lohngruppe auf zwischen fünf und sechs Euro sinken lassen. "Das spezielle Schutzkonzept des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes ist durch sachwidrigen Unterbietungswettbewerb konkurrierender Gewerkschaften praktisch außer Kraft gesetzt", konstatiert der ehemalige Präsident des Bundesarbeitsgerichts (BAG). Ein korrigierendes Eingreifen des Gesetzgebers sei "angebracht, wenn nicht sogar geboten".

Abweichungen vom gesetzlichen Lohngleichheitsgebot können auch nicht tarifgebundene Arbeitgeber nutzen, wenn sie im Arbeitsvertrag auf einen einschlägigen Tarifvertrag Bezug nehmen. Folge: Zeitarbeitsunternehmen können sich so den billigsten Verbandstarifvertrag aussuchen. In Tarifverhandlungen kann die Arbeitgeberseite dann darauf hinweisen, dass die Konkurrenz alle Verhandlungsergebnisse mühelos unterbieten kann.

Leiharbeit hat ihren Schwerpunkt in den beiden untersten Lohngruppen, "und hier findet ein rücksichtsloser Unterbietungswettbewerb statt", so Professor Dieterich. Leiharbeitnehmer müssten "teilweise zu Hungerlöhnen arbeiten", wenn sie nicht besser geschützt werden.

Die beiden großen Arbeitgeberverbände der Zeitarbeitsbranche und die DGB-Tarifgemeinschaft suchen nun gemeinsam einen Ausweg aus der Abwärtsspirale. Der Vorschlag: eine Ausweitung des Arbeitnehmerentsendegesetzes auf die Zeitarbeitsbranche. Damit erhielte der zuständige Bundesarbeitsminister die Kompetenz, einem bestimmten Tarifvertrag Vorrang gegenüber einem konkurrierenden Tarifvertrag einzuräumen. Per Rechtsverordnung bekäme die gesamte Branche faktisch einen Mindestlohn. Verfassungsgemäß wäre eine solche Lösung allemal, stellt der ehemalige BAG-Präsident in seinem Gutachten fest. Doch welcher Tarifvertrag würde dann gelten?

In seiner jetzigen Form biete das Arbeitnehmerentsendegesetz für eine Ausweitung auf Leiharbeit "keine ausreichend klare Grundlage", schreibt Dieterich. Bislang sei das Gesetz auf die Gegebenheiten des Baugewerbes zugeschnitten und verfolge das Ziel, grenzüberschreitende "Schmutzkonkurrenz" zu unterbinden. Bei der Zeitarbeitsbranche solle der Minister jedoch zwischen konkurrierenden Tarifverträgen wählen. "Diese Auswahl kann und darf nicht in seinem völlig freien Belieben stehen."

Um dem Schutzkonzept der Tarifautonomie zu genügen, das auf die besondere Sachkunde und Sachnähe der Tarifpartner vertraut, müsste der Tarifvertrag mit der größten Repräsentativität maßgebend sein, argumentiert der Jura-Professor. Welcher das ist, sei in einem Erörterungsverfahren zu klären. Ein denkbarer Maßstab wäre die Verbreitung kraft Tarifbindung. Für die Zeitarbeitsbranche sei zu erwarten, dass sich der Tarifvertrag mit den DGB-Gewerkschaften durchsetzt. Denn hier verfügen die christlichen Gewerkschaften kaum über Mitglieder.

  • Leih- oder Zeitarbeiter sind nur selten gering Qualifiziert; drei von vier haben eine Berufsausbildung, Zur Grafik
  • Zeitarbeit ist für die wenigsten ein Übergangsstadium in einen festen Job. Zur Grafik

Thomas Dieterich: Verfassungsmäßigkeit einer Erstreckung des Arbeitnehmerentsendegesetzes auf die Zeitarbeitsbranche, Gutachten, November 2006

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