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Rückschritte durch Corona Böckler Impuls

Gleichstellung: Rückschritte durch Corona

Ausgabe 17/2021

Einzelmaßnahmen wie zusätzliche Kinderkrankentage konnten während der Pandemie nicht verhindern, dass Frauen auf dem Arbeitsmarkt weiter ins Hintertreffen geraten sind. Hilfreich wäre unter anderem mehr Mitbestimmung.

Es ist hierzulande noch ein weiter Weg, bis Frauen und Männer im Job wirklich gleiche Chancen haben: „Schon vor der Pandemie zeigte sich auf vielen Ebenen, dass der Verfassungsauftrag der Gleichstellung von Männern und Frauen in Deutschland nicht umgesetzt ist“, stellt Bettina Kohlrausch in einer aktuellen Studie fest. Ein wichtiger Grund sei die doppelte Belastung von Frauen durch Beruf und Familie. Wie sich die Coronakrise in diesem Zusammenhang ausgewirkt hat, hat die WSI-Direktorin anhand von Daten der Erwerbspersonenbefragung der Hans-Böckler-Stiftung analysiert. Ausgewertet wurden Angaben von über 5000 Personen, die an fünf Befragungswellen zwischen April 2020 und Juni 2021 teilgenommen haben. Die Ergebnisse zeigen, dass sich die Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern zum Teil noch vertieft haben. Als Gegenmittel empfiehlt die Forscherin mehr Homeoffice, reduzierte Arbeitszeiten, mehr Zeitsouveränität für alle Beschäftigten und einen Kulturwandel auf betrieblicher Ebene, zu dem mehr Mitbestimmung beitragen könnte.

Bei der Sorgearbeit sei sowohl vor als auch während der Pandemie die Hauptlast auf die Frauen entfallen, schreibt Kohlrausch. Zuletzt haben 69 Prozent der befragten Frauen und 64 Prozent der Männer angegeben, dass sich in ihrer Familie hauptsächlich die Mutter um die Kinder kümmert. Weil die Belastung durch Schul- und Kitaschließungen insgesamt gestiegen ist, hat der „Gender Care Gap“ in absoluten Zahlen zugenommen. Der Anteil der Männer, die die Hauptlast der Sorgearbeit übernommen haben, war zwar zu Beginn der Krise von etwa 5 Prozent auf rund 11 Prozent gestiegen, hat sich später aber wieder auf dem Vorkrisenniveau eingependelt. Studien der WSI-Forscherinnen Yvonne Lott und Aline Zucco zeigen, dass eine gerechtere Arbeitsteilung innerhalb der Partnerschaft vor allem dann geglückt ist, wenn Väter im Homeoffice oder mit reduzierter Arbeitszeit tätig waren.

Die ungleiche Verteilung von Sorgearbeit dürfte der Untersuchung zufolge dazu beigetragen haben, dass die befragten Frauen sich sowohl familiär als auch finanziell und beruflich im Schnitt stärker belastet fühlten als die Männer. Sie mussten zudem häufiger im Job kürzertreten, um Kinder zu betreuen: Im April 2020 hatten 24 Prozent der Frauen im Vergleich zu 13 Prozent der Männer aus diesem Grund ihre Arbeitszeit reduziert, im Juni 2021 waren es 13 im Vergleich zu 5 Prozent. Der „Gender Time Gap“, also der Rückstand von Frauen gegenüber Männern bei der wöchentlichen Arbeitszeit, hat sich infolgedessen von 5,2 auf in der Spitze 6,3 Stunden vergrößert. Es fällt auf, dass diese Entwicklung sich im Verlauf der Pandemie verstetigt hat: Im Juni 2021 betrug der Rückstand immer noch 5,9 Stunden. Laut der Analyse ist ein Negativeffekt bei den Arbeitszeiten von Frauen auch dann feststellbar, wenn man familiäre Verpflichtungen als Grund ausklammert. „Das bedeutet, dass Frauen während der Pandemie stärker als Männer vom Arbeitsmarkt verdrängt wurden und dass dies nicht ausschließlich auf die größere Verantwortung von Frauen für die Kinderbetreuung zurückzuführen ist“, so die Soziologin. Der strukturelle Nachteil von Frauen scheine sich verstärkt zu haben.

Die Politik habe durchaus reagiert, erklärt Kohlrausch, beispielsweise durch besseren Zugang zu Notbetreuung während der Schul- und Kitaschließungen. Zudem seien der Anspruch auf Kinderkrankentage ausgeweitet und Arbeitgeber mit Blick auf den Infektionsschutz verpflichtet worden, ihren Beschäftigten Homeoffice anzubieten. Um sich um ihre Kinder kümmern zu können, haben 55 Prozent der befragten Eltern flexible Arbeitszeiten und 40 Prozent mobiles Arbeiten genutzt. Kinderkrankentage wurden dafür nur von 20 Prozent in Anspruch genommen und haben damit eine deutlich geringere Rolle gespielt – obwohl sie explizit zur Entlastung von Eltern eingeführt worden waren. Kohlrausch führt das darauf zurück, dass viele Beschäftigte angesichts hoher Arbeitsverdichtung keine Möglichkeit sehen, ihr Arbeitsvolumen zu reduzieren, ohne dass Aufgaben unerledigt bleiben. Dass Frauen mit 17,9 Prozent Kinderkrankentage seltener genutzt haben als Männer mit 21,9 Prozent, dürfte auch damit zusammenhängen, dass sie häufiger befristet oder in Teilzeit tätig sind. Denn wer sich in einer eher schwachen Arbeitsmarktposition befindet, nehme solche Rechte seltener in Anspruch. Bei der Zahl der genutzten Kinderkrankentage liegen die Frauen mit durchschnittlich fünf Tagen allerdings vor den Männern mit vier Tagen.

„In der Gesamtschau zeigt sich, dass sich die bereits vor der Krise existierenden Ungleichheitsstrukturen in der Krise verschärfen und damit auch langfristig zu einer wachsenden Ungleichheit zwischen den Geschlechtern führen könnten, wenn nicht rechtzeitig gegengesteuert wird“, resümiert die Wissenschaftlerin. Von den Erfahrungen mit der Pandemie lasse sich lernen, dass Homeoffice und ein geringeres Arbeitszeitvolumen hier helfen könnten. Dass nur ein Fünftel der Befragten Kinderkrankentage genutzt hat, zeige, dass flexible Arbeitszeit nicht funktioniert, wenn Beschäftigte ihre gesetzlich verbrieften Rechte nicht in Anspruch nehmen können. Gleichstellungspolitik dürfe sich nicht darauf beschränken, Kinderbetreuungsangebote auszubauen, sondern müsse die betriebliche Ebene stärker in den Blick nehmen. Um die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben zu verbessern, sollten die betrieblichen Mitbestimmungsrechte gestärkt und ausgebaut werden, beispielsweise bei der Ausgestaltung des Homeoffice.

Bettina Kohlrausch: Gleichberechtigung während der Pandemie, Wirtschaftsdienst 10/2021

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