Gleichstellung: Rückschritt durch Corona
In der Pandemie verschärft sich die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern: Frauen reduzieren häufiger ihre Arbeitszeit, ihr Anteil an der Sorgearbeit nimmt noch weiter zu.
Die Coronakrise stellt eine enorme Belastung dar für das Gesundheitswesen, die Volkswirtschaft, den Sozialstaat und für die Gleichberechtigung zwischen Frauen und Männern. Bestehende Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern nehmen momentan zu. Das zeigen Ergebnisse einer neuen Online-Befragung, für die im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung 7677 Erwerbstätige interviewt wurden. Die von Kantar Deutschland durchgeführte Befragung bildet die Erwerbspersonen in Deutschland im Hinblick auf Geschlecht, Alter, Bildung und Bundesland repräsentativ ab. Bestimmte gesellschaftliche Gruppen sind vor den Auswirkungen der Krise schlechter geschützt als andere. Das kann langfristig negative Auswirkungen auf den sozialen Zusammenhalt in der Gesellschaft haben, warnt Bettina Kohlrausch, die wissenschaftliche Direktorin des WSI. Neben Beschäftigten mit niedrigeren Einkommen, in Betrieben ohne Tarifvertrag oder Betriebsrat seien Frauen derzeit überproportional belastet. Kohlrausch hat die Befragung gemeinsam mit WSI-Forscherin Aline Zucco ausgewertet.
Frauen tragen die Hauptlast
Wenn Eltern in Zeiten geschlossener Kitas und Schulen einspringen müssen, tragen die Mütter die Hauptlast: Der Auswertung zufolge haben in Haushalten mit mindestens einem Kind unter 14 Jahren 27 Prozent der Frauen, aber nur 16 Prozent Männer ihre Arbeitszeit reduziert, um die Kinderbetreuung zu gewährleisten. Bei Haushalten mit geringerem oder mittlerem Einkommen fällt die Diskrepanz noch größer aus. Das zeige, dass finanzielle Überlegungen bei der Entscheidung, wer von den Eltern Arbeitszeit reduziert, eine wesentliche Rolle spielen, so Kohlrausch und Zucco. Familien mit wenig Geld könnten es sich häufig nicht leisten, auf das meist höhere Gehalt des Mannes zu verzichten. Paare, die sich so verhalten, handeln individuell unter dem Druck der Krisensituation kurzfristig oft rational. Sie sehen ja derzeit keine Alternative, sagt Soziologin Kohlrausch. Die Forscherinnen warnen aber vor langfristigen Gefahren für die Erwerbsverläufe von Frauen. Da die ökonomischen Folgen der Krise noch länger spürbar sein werden, könnte eine Rückkehr zur vorherigen Arbeitszeit unter Umständen nicht möglich sein. Somit drohten auf längere Sicht drastische Folgen für das Erwerbseinkommen von Frauen: Die bestehende Lohnlücke zwischen den Geschlechtern dürfte sich durch die Coronakrise noch weiter vergrößern.
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Aus den Daten lasse sich ableiten, dass Eltern mit geringerem Einkommen von der Krise noch stärker betroffen sind. Einerseits müssen sie ihre Arbeitszeit häufiger reduzieren, um sich um ihre Kinder zu kümmern. Die Forscherinnen führen das unter anderem darauf zurück, dass Geringverdienende seltener die Gelegenheit haben dürften, im Homeoffice zu arbeiten. Andererseits ist bei Beschäftigten mit kleineren oder mittleren Einkommen Kurzarbeit häufiger als bei jenen, die relativ viel verdienen. Damit müssten insbesondere jene Haushalte finanzielle Einbußen hinnehmen, die davor schon am unteren Ende der Einkommensverteilung lagen. Das heißt: Die Ausfälle von Schulen und Kitas könnten bestehende Einkommensungleichheiten weiter verstärken.
Rückkehr zu traditioneller Arbeitsteilung
Bei der Arbeitsteilung innerhalb von Partnerschaften komme es tendenziell zu einer „Retraditionalisierung“, stellen Kohlrausch und Zucco fest. Auch wenn sich die Angaben von Männern und Frauen geringfügig unterscheiden, werde deutlich, dass die zusätzlich anfallende Sorgearbeit auch in Familien mit einer vormals gleichberechtigten Verteilung unbezahlter Arbeit nun vor allem die Frauen übernehmen. Nur 60 Prozent derjenigen Paare mit Kindern unter 14 Jahren, die sich die Sorgearbeit vor der Coronakrise fair geteilt haben, tun dies auch während der Krise. Bei Paaren mit einem Haushaltseinkommen unter 2000 Euro sind es sogar nur 48 Prozent. Das zeige, dass Eltern, die finanziell stark unter Druck stehen, weniger Spielräume für eine faire Arbeitsteilung bleiben.
Dieser Befund sei auch insofern besorgniserregend, als viele Beschäftigte ihre finanzielle Situation zurzeit als prekär wahrnehmen, erklären die WSI-Forscherinnen. Das gelte insbesondere für das Heer der Kurzarbeitenden: Von den Befragten, die in Kurzarbeit sind und keine Aufstockung des gesetzlichen Kurzarbeitgeldes erhalten, geben 40 Prozent an, in dieser Situation maximal drei Monate finanziell durchhalten zu können. Auch viele Beschäftigte, die derzeit ihre Arbeitszeit noch nicht reduzieren mussten, sind skeptisch: Unabhängig von der aktuellen Arbeitssituation schätzen etwa 32 Prozent aller Befragten, bei Kurzarbeit Null mit dem zum Zeitpunkt der Befragung gesetzlich vorgesehenen Kurzarbeitergeld von maximal 67 Prozent ohne Aufstockung höchstens drei Monate auskommen zu können. „Das zeigt, dass die von der Bundesregierung beschlossene Aufstockung des Kurzarbeitergeldes bei längerem Bezug ein Fortschritt ist“, sagt Kohlrausch. „Allerdings ist fraglich, ob dieser Schritt ausreicht. Insbesondere Frauen erhalten seltener eine Aufstockung der Kurzarbeit, was dazu führen kann, dass sich die Gehaltslücke zwischen Männern und Frauen weiter vergrößert“. Dies könne den Effekt verstärken, dass Frauen ihre Arbeitszeit für die zusätzlich anfallende Sorgearbeit reduzieren, da gerade Familien in den unteren Einkommensgruppen nicht auf das meist höhere Gehalt des Mannes verzichten können.
Besser stünden Beschäftigte da, deren Arbeitgeber das Kurzarbeitergeld aufstocken, so Kohlrausch und Zucco. Hier hätten Tarifbeschäftigte einen klaren Vorteil: Befragte, die in einem tarifgebundenen Unternehmen arbeiten, erhalten zu 45 Prozent eine Aufstockung, die übrigen Befragten nur zu 19 Prozent. Im Hinblick auf die Geschlechtergleichheit erweise sich damit einmal mehr als Problem, dass Frauen seltener nach Tarif bezahlt werden als Männer.
Als Fazit halten die Sozialwissenschaftlerinnen fest, dass die zusätzlich anfallende Sorgearbeit durch die Schließung von Kitas und Schulen Familien enorm unter Druck setzt und dabei Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern verfestigen kann. Um dem entgegenzuwirken, brauche es zumindest für die unteren Einkommensgruppen mehr finanzielle Unterstützung, wenn wegen Kinderbetreuung Arbeitszeit reduziert werden muss, und eine Entlastung bei der Sorgearbeit. Aus Sicht der Familien – insbesondere der Kinder und der Frauen – sollte eine schrittweise Öffnung der Kitas Priorität haben. Zudem gelte es, die Möglichkeiten für digitalen Unterricht auszubauen und über innovative Betreuungsmodelle nachzudenken.
Bettina Kohlrausch, Aline Zucco: Corona trifft Frauen doppelt – weniger Erwerbseinkommen und mehr Sorgearbeit (pdf), WSI Policy Brief Nr. 40, Mai 2020