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HBS Böckler Impuls

Vereinbarkeit: Pflege und Job - mehr Unterstützung nötig

Ausgabe 17/2012

Künftig werden immer mehr Beschäftigte Pflege und Beruf unter einen Hut bringen müssen. Zeitkonten, Telearbeit und verlässliche Arbeitszeiten können dabei helfen.

Mit der Zahl der Älteren steigt der Pflegebedarf in Deutschland: Derzeit erhalten 2,34 Millionen Menschen Leistungen aus der Pflegeversicherung, 2050 werden es nach Berechnungen des Statistischen Bundesamts gut 4 Millionen sein. Immer mehr Beschäftigte werden also vor der Frage stehen, wie sie die Pflege von Angehörigen mit ihrem Beruf in Einklang bringen können, schreiben Stefan Reuyß, Svenja Pfahl, Jürgen Rinderspacher und Katrin Menke. Die Forscher vom Berliner SowiTra-Institut und dem Institut für Ethik und angrenzende Sozialwissenschaften der Universität Münster haben mit Unterstützung der Hans-Böckler-Stiftung ein Konzept für „Pflegesensible Arbeitszeiten“ entwickelt.

Dafür haben sie 90 abhängig Beschäftigte befragt, die sich um pflegebedürftige Familienmitglieder kümmern. Zusätzlich führten die Sozialwissenschaftler 17 Experteninterviews mit Betriebsräten und Führungskräften sowie Vertretern von Pflegeeinrichtungen, Beratungsstellen und Verbänden. Aus ihren Gesprächen ziehen sie den Schluss, dass Erwerbstätigkeit und Pflege durchaus vereinbar sind – wenn das betriebliche Umfeld stimmt: „Eine selbstbestimmte Gestaltung der eigenen Arbeitsabläufe und Arbeitszeiten, in Verbindung mit gelegentlicher Telearbeit und einem verständnisvollen Arbeitsumfeld, in welchem auch kurzfristige Vertretungsmöglichkeiten akzeptiert und unterstützt werden, sind Rahmenbedingungen, die auch bei intensiver Pflege eine umfangreiche Berufstätigkeit ermöglichen.“

Die geltenden individualrechtlichen Ansprüche für pflegende Beschäftigte nach dem Pflegezeitgesetz seien nur begrenzt hilfreich, kritisieren die Autoren. Sie liefen darauf hinaus, für die Dauer einer Pflegeaufgabe vom Arbeitgeber freigestellt zu werden – und zwar ohne fortlaufende Bezüge. Als Folge drohten Einkommenseinbußen, schwindende Karrierechancen und Dequalifizierung. Weil Pflege anders als Elternschaft in ihrer Dauer und ihrem Verlauf nicht planbar sei, stellten längere betriebliche Auszeiten zudem keine permanente Lösung dar. Für den Großteil der betroffenen Beschäftigten seien sie daher wenig attraktiv: „Die gesetzlichen Freistellungsmöglichkeiten werden generell äußerst selten genutzt und stellen für die allermeisten Befragten nicht einmal eine erwägenswerte Möglichkeit dar.“ Als Alternative empfehlen die Wissenschaftler eine pflegesensible Ausgestaltung von Arbeitszeiten, aber auch Anpassungen bei der Arbeitsorganisation und der Betriebskultur.

Voraussetzung für eine pflegegerechte Vollzeit wäre nach ihrer Einschätzung die Möglichkeit, Arbeitszeit für die Dauer der Pflege in begrenztem Umfang zu reduzieren. Dazu könne beispielsweise eine Gutschrift für pflegende Beschäftigte auf dem Arbeitszeitkonto dienen. Die Entnahmen der Guthaben müssten diese Beschäftigten individuell an den jeweiligen Pflegebedarf anpassen können. Anders als bei herkömmlichen Teilzeitlösungen solle für die „pflegegerechte Vollzeit“ eine staatlich oder tariflich finanzierte Subventionierung erfolgen, empfehlen die Wissenschaftler.

Arbeitszeitkonten hätten sich generell als ein sehr hilfreiches Instrument für Beschäftigte mit privater Pflegeverantwortung erwiesen, konstatieren die Forscher. Entscheidend sei dabei, dass Arbeitnehmer möglichst autonom über ihr Konto verfügen und so kleine pflegeorientierte Auszeiten organisieren können. Guthaben sollten auch langfristig nicht verfallen, Kappungsgrenzen ausgesetzt werden.

Auch verlässliche und normale Arbeitszeiten erleichtern den Sozialwissenschaftlern zufolge den Pflegealltag. Abweichende Arbeitszeitlagen wie Abend-, Wochenend- oder Nachtarbeit gelte es zu vermeiden. Insbesondere kurzfristige Arbeitszeitänderungen – nicht angekündigte Überstunden oder ein ungeplanter Schichtwechsel – setzten pflegende Beschäftigte massiv unter Druck.

Eine adäquate Arbeitsorganisation für Pflegende sollte stärker auf die tatsächlichen Ergebnisse als auf bloße Anwesenheit abstellen, kurzfristige Arbeitsunterbrechungen im Tagesverlauf zulassen und mobiles Arbeiten unterstützen. So könnten Beschäftigte mit pflegebedürftigen Angehörigen gelegentlich Auszeiten „ohne schlechtes Gewissen“ nehmen.

Schließlich sei es wichtig, ein pflegesensibles Betriebsklima zu schaffen: Unternehmensleitung und Betriebsrat sollten das Thema Pflege in Betriebsversammlungen oder betriebseigenen Medien regelmäßig thematisieren. Darüber hinaus empfehlen die Autoren Schulungen zum Thema Vereinbarkeit von Beruf und Pflege sowie betriebliche Sozialberatung für Pflegende. Der Betrieb müsse als „sozialer Ort“ begriffen werden, an dem Betroffene auch Unterstützung erhalten können.

  • Immer mehr Beschäftigte stehen vor der Frage, wie sie die Pflege von Angehörigen mit ihrem Beruf in Einklang bringen können. Zur Grafik

Stefan Reuyß u. a.: Pflegesensible Arbeitszeiten: Perspektiven der Vereinbarkeit von Beruf und Pflege, edition sigma, Berlin 2012

Weitere Informationen über das Projekt "Pflegesensible Arbeitszeiten"

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