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HBS Böckler Impuls

Arbeitsmarkt: Osteuropäer arbeiten oft prekär

Ausgabe 12/2015

Die Zahl der EU-Ausländer auf dem deutschen Arbeitsmarkt nimmt zu. Oft müssen sie unter schlechten Bedingungen arbeiten.

Zu den sogenannten Grundfreiheiten der EU gehört die Arbeitnehmerfreizügigkeit: Unionsbürger können sich europaweit ohne Rücksicht auf nationale Grenzen um einen Job bemühen. Was das für den deutschen Arbeitsmarkt bedeutet, haben Bettina Wagner und Anke Hassel analysiert. Die Politikwissenschaftlerinnen von der Hertie School of Governance in Berlin haben mit Förderung der Hans-Böckler-Stiftung Daten des Statistischen Bundesamts, der Bundesagentur für Arbeit (BA), der Sozialkasse Bau, der EU-Kommission und der Deutschen Rentenversicherung ausgewertet. Ihre Analyse zeigt, dass hierzulande insbesondere die Zahl der Erwerbstätigen aus Osteuropa deutlich gestiegen ist. Neben sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen spielen vor allem Minijobs, Saisonarbeit und Entsendungen eine wichtige Rolle.

Für Osteuropäer galt die Arbeitnehmerfreizügigkeit zunächst nur eingeschränkt: Um in Deutschland eine sozialversicherungspflichtige Stelle anzutreten, brauchten Bürger der 2004 beigetretenen Staaten bis Mai 2011 für die meisten Berufsgruppen eine Genehmigung der BA. Die Voraussetzung: Für die freie Stelle durfte es keinen Bewerber aus Deutschland oder einem der alten EU-Länder geben. Für Arbeitskräfte aus Bulgarien und Rumänien galt diese Auflage bis Anfang 2014. Die Anzahl der erteilten Genehmigungen war der Studie zufolge recht hoch, 2012 gab es grünes Licht für die Anwerbung von knapp 44.000 Bulgaren und Rumänen. Die Gesamtzahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten aus dem EU-Ausland ist zwischen 2004 und 2013 von weniger als 700.000 auf fast 1,2 Millionen gestiegen. Erwerbstätige aus Osteuropa machen mittlerweile 46 Prozent dieser Gruppe aus, allein die Zahl der Bulgaren und Rumänen hat sich seit 2007 auf 117.000 verdreifacht.

Darüber hinaus erhielten 2010 – also vor dem Wegfall der Genehmigungspflicht für die 2004 beigetretenen Mitgliedstaaten – fast 300.000 EU-Bürger eine Zulassung als Saisonarbeiter. 2004 waren noch 86 Prozent dieser Beschäftigten Polen, 2010 nur noch 60 Prozent. Der Anteil der Rumänen hat sich dagegen im gleichen Zeitraum von 8 auf 35 Prozent erhöht. Wagner und Hassel führen diese Entwicklung auf den Kostenvorteil der rumänischen Arbeitskräfte zurück. Mittlerweile gelte in der Landwirtschaft zwar ein allgemeinverbindlicher Tarifvertrag. Doch Akkordlöhne, die bei der Bezahlung von Erntehelfern weit verbreitet sind, böten eine nur schwer zu kontrollierende Möglichkeit, tarifliche Standards zu unterlaufen, schreiben die Forscherinnen.

Dass vielen EU-Ausländern auf dem deutschen Arbeitsmarkt eher bescheidene Verdienste winken, darauf deutet auch die Entwicklung bei den Minijobs hin: Die Zahl der ausschließlich geringfügig Beschäftigten aus Ost- und Südeuropa ist der Auswertung zufolge in den letzten Jahren kontinuierlich gestiegen. 2014 waren 21.000 Griechen, 40.000 Italiener, 51.000 Rumänen und 72.000 Polen Minijobber.

Während für ausländische Minijobber immerhin die gleichen Rechte und Tarife wie für Deutsche gelten, kommt bei Entsendungen das Heimatlandprinzip zur Anwendung. Das heißt: Die Bezahlung der entsandten Beschäftigten richtet sich grundsätzlich nach den Standards ihrer Heimatländer. Seit Januar 2015 ist allerdings der hiesige Mindestlohn zu beachten. Zudem sind Ausnahmen gesetzlich vorgesehen für Branchen wie zum Beispiel das Baugewerbe, für die ein allgemeinverbindlicher Tarifvertrag gilt. Dort waren 2011 etwa 69.000 entsandte Beschäftigte tätig. Für andere Branchen liegen lediglich Schätzungen vor, die sich stark unterscheiden. Eine Studie der EU-Kommission geht davon aus, dass die Zahl der nach Deutschland entsandten Beschäftigten seit 2008 um mehr als 40 Prozent gestiegen ist. Allein 200.000 Osteuropäer wären demnach 2011 auf diese Weise tätig gewesen. Aus Angaben der Deutschen Rentenversicherung leiten die Wissenschaftlerinnen ab, dass es 2012 etwa 800.000 Entsendungen gegeben hat. Fast vier Fünftel der Entsandten kamen aus einem der neuen Mitgliedstaaten. Die wichtigsten Branchen waren mit einem Anteil von 19,5 Prozent das Baugewerbe und mit 15 Prozent die fleischverarbeitende Industrie.

Zuletzt haben die Politologinnen sich mit der Niederlassungsfreiheit beschäftigt, die jedem Unionsbürger ermöglicht, EU-weit ein Gewerbe anzumelden. Auch hier sind Osteuropäer mit steigender Tendenz aktiv: 2007 wurden in Deutschland 29.000 Gewerbeanmeldungen von Polen registriert, 2013 waren es knapp 39.000. Bei den Rumänen stieg die Zahl von 5.000 auf 30.000.

  • Die Zahl der geringfügig Beschäftigten aus Ost- und Südeuropa ist in den letzten Jahren kontinuierlich gestiegen. 2014 waren 21.000 Griechen, 40.000 Italiener, 51.000 Rumänen und 72.000 Polen Minijobber in Deutschland. Zur Grafik

Bettina Wagner, Anke Hassel: Europäische Arbeitskräftemobilität nach Deutschland – Ein Überblick über Entsendung, Arbeitnehmerfreizügigkeit und Niederlassungsfreiheit von EU-Bürgern in Deutschland, Berlin, Juni 2015

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