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HBS Böckler Impuls

Tarifbindung: Orientierungslinie Tarifvertrag

Ausgabe 13/2005

Die "Flucht aus dem Tarifvertrag" hat sich seit 2000 abgeschwächt. Das neueste IAB-Betriebspanel, das die einzigen repräsentativen Zahlen hierzu liefert, weist aber noch auf einen weiteren Aspekt hin: die Signalwirkung des Tarifvertrags. Viele Betriebe orientieren sich am Tarifvertrag, obwohl sie nicht an ihn gebunden sind.

Seit Jahren wird in Diskussionen um den Flächentarifvertrag gefordert, die Autonomie der Unternehmen zu stärken und Abweichungen vom Tarifvertrag zu erleichtern, etwa über betriebliche Bündnisse für Arbeit oder so genannte Öffnungsklauseln. Weitaus weniger Beachtung finden jedoch die Betriebe, die den umgekehrten Weg einschlagen und sich freiwillig an Branchentarifverträgen orientieren.

Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) ist auch dieser Frage nachgegangen - mit überraschenden Ergebnissen: So zeigt die Flächentarifbindung in ganz Deutschland zwar seit 1996 eine rückläufige Tendenz. In Westdeutschland können sich nun 8 Prozentpunkte weniger Beschäftigte auf den Flächentarif verlassen, in Ostdeutschland beträgt der Rückgang zwischen 1996 und 2003 sogar 15 Prozentpunkte. Jedoch hat sich dieser Trend in der jüngsten Zeit abgeschwächt: Im Osten hat er sich seit 2000 verlangsamt und scheint sich nun auf dem niedrigsten Niveau zu stabilisieren. Im Westen der Republik bleibt der Anteil der Beschäftigten, die in tarifgebundenen Unternehmen arbeiten, seitdem sogar annähernd gleich.

Viele Betriebe, die nicht an einen Branchentarifvertrag angeschlossen sind, orientieren sich bei den einzelnen Arbeitsverträgen am Tarifrahmen, so das IAB. 43 Prozent dieser Unternehmen - und damit rund ein Viertel aller Betriebe - richten sich bei der Entlohnung nach geltenden Tarifverträgen; ein knappes Drittel dieser Unternehmen im Westen zahlt sogar freiwillig höhere Löhne als im Branchentarif vorgesehen.

Eine Messlatte liefert der Tarifvertrag aber nicht nur in punkto Lohn und Gehalt: Die Mehrheit der Betriebe mit Tariforientierung nimmt den Branchentarif auch als Richtschnur für Arbeitszeitregelungen, Urlaubstage oder finanzielle Zusatzleistungen.

Gut die Hälfte der befragten westdeutschen und mehr als drei Viertel der untersuchten ostdeutschen Unternehmen sind an keinen Tarifvertrag gebunden. Das hängt oft von der Branche ab, in der die Betriebe arbeiten. Gehört es in vielen Industrieunternehmen zur Tradition, sich dem Tarifvertrag anzuschließen, gibt es andere Branchen, die nur eine schwache Tarifkultur haben - wie die Bekleidungsbranche, die Möbelindustrie oder die hoch qualifizierten Dienstleistungsbranchen.

Großen Einfluss auf die Tarifbindung hat die Betriebsgröße. Großbetriebe mit mehr als 500 Arbeitnehmern sind in der Mehrheit tarifgebunden. In Ostdeutschland entscheiden sich viele größere Unternehmen auch für Firmentarifverträge; ein gutes Fünftel der Betriebe mit 200 oder mehr Beschäftigten handelt mit den Gewerkschaften einen Haustarifvertrag aus. Für viele kleine Unternehmen mit weniger als zehn Beschäftigten spielen Tarifverträge insgesamt dagegen eine untergeordnete Rolle.

Flächentarifverträge sind also auch für die ungebundenen Unternehmen von Interesse, wie die Zahlen zum Tarifvertrag als Messlatte der Einzelarbeitsverträge zeigen. Das Niveau der Arbeitsbedingungen wird also offenbar auch vom betrieblichen Umfeld beeinflusst, und zwar nicht nur von regionalen Faktoren, sondern auch von - teilweise historisch - etablierten Standards für den betreffenden Markt. Ohne ein derartig stabilisierendes Umfeld und ohne ausreichende Möglichkeiten für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer - beispielsweise über den Betriebsrat oder ähnliche betriebliche Interessenvertretungen - dürften die Beschäftigten der Unternehmenswillkür ausgeliefert sein.

  • Die EU stellt ihre Vorzüge notorisch unter den Scheffel, analysiert Jeremy Rifkin. Er fordert einen neuen Blick auf die "Vereinigten Staaten von Europa", den Kontinent der Zukunft. Zur Grafik
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Peter Ellguth, Susanne Kohaut: Tarifbindung und betriebliche Interessenvertretung: Aktuelle Ergebnisse aus dem IAB-Betriebspanel; In: WSI Mitteilungen 7/2005

Ingrid Artus: Betriebe ohne Betriebsrat: Gelände jenseits des Tarifsystems?, In: WSI Mitteilungen 7/2005

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