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HBS Böckler Impuls

Arbeitslosengeld II: Organisatorischer Flickenteppich

Ausgabe 20/2009

Mehr als vier Jahre nach den Hartz-Gesetzen hat die Grundsicherung für Arbeitssuchende noch immer keine solide Organisation gefunden. Die Strukturen der früheren Arbeitslosen- und Sozialhilfe passen nicht zusammen.

Eine einheitliche Anlaufstelle für Langzeitarbeitslose zu schaffen, für dieses Ziel wurden vor vier Jahren die Arbeitslosen- und Sozialhilfe zusammengelegt. Allerdings ist der Vorsatz noch immer nicht eingelöst. "Das Versprechen von Dienstleistungen aus einer Hand, deren angemessener Preis der Umbau des Sozialleistungssystems sein sollte, wurde in grotesker Weise verfehlt", schreibt Professor Matthias Knuth von der Uni Duisburg-Essen. Derzeit kümmern sich bundesweit drei unterschiedliche Organisationsformen um die Empfänger von Arbeitslosengeld II, manchmal sind es sogar zwei verschiedene an einem Ort:

=> Meist sind Arbeitsgemeinschaften (ARGEn) aus Arbeitsagentur und dem lokalen Sozialamt tätig.
=> In 69 so genannten Optionskommunen betreut der Landkreis oder die Stadt die Arbeitslosen allein.
=>  In 23 Gemeinden haben sich Arbeits- und Sozialverwaltung nicht auf eine Zusammenarbeit geeinigt. Hier wird die Bedürftigkeit der Erwerbslosen doppelt ermittelt - einmal für die Unterkunft, einmal für den Lebensunterhalt.

Die Hartz-Reformen haben einen organisatorischen Flickenteppich geschaffen, so Knuth. Noch schwerer aber wiegt, dass es dem Status Quo an einer soliden Rechtsgrundlage fehlt. Das Bundesverfassungsgericht entschied bereits 2007 mit knapper Mehrheit, dass Arbeitsgemeinschaften von Arbeitsagentur und Kommunen nicht mit dem Grundgesetz vereinbar sind - die gemeinsame Verwaltung verwische die politische Verantwortung von Arbeitsminister und Bürgermeister. Bund und die Länder - denen die Kommunen rechtlich zugeordnet werden - dürfen nur in vom Grundgesetz ausdrücklich vorgesehenen Fällen gemeinsame Verwaltungen bilden. Ohne Verfassungsänderung können die ARGEn daher nur bis Ende 2010 tätig sein, wenngleich sie laut Evaluation in der Summe leicht erfolgreicher sind als die Optionskommunen. Die Optionskommunen wiederum sind per Gesetz nur als Experiment bis 2010 zugelassen. Soll es sie danach weiter geben, braucht es eine neue gesetzliche Grundlage. Matthias Knuth hat analysiert, welche Lösungen nun möglich sind und warum es zur organisatorischen Unsicherheit gekommen ist: weil die Hartz-Reformen die Statik der sozialen Sicherung verändert haben.

Arbeitslosenversicherung und Sozialfürsorge nur schwer vereinbar. Das vierte Hartz-Gesetz hat die Arbeitslosen- und die Sozialhilfe durch das Arbeitslosengeld II ersetzt. Dabei wurden Elemente aus zwei verschiedenen Sicherungssystemen verbunden, die nicht zueinander passen, schreibt Knuth. Denn die alte Arbeitslosenhilfe hatte ihre Eigenarten: Sie wurde zwar aus Steuermitteln bestritten, war aber de facto Bestandteil des Systems der Arbeitslosenversicherung. Ebenso wie die Versicherungsleistung wurde die Arbeitslosenhilfe vom Arbeitsamt ausgezahlt; die Antragsteller hatten das gleiche Problem, die gleichen Rechte und Pflichten. Vor allem aber hatten auch die Empfänger der Arbeitslosenhilfe ihren Anspruch durch Beiträge begründet; Arbeitslosenhilfe bekam nur, wer zuvor einen Anspruch auf Versicherungsleistungen hatte. Die Transferzahlung sollte es den Erwerbslosen ermöglichen, nicht unter Zeitdruck irgendeinen Job annehmen zu müssen, denn eine Tätigkeit unterhalb des Qualifikationsprofils kann die beruflichen Kenntnisse entwerten.

Die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe war keineswegs alternativlos. Die Studie nennt zwei seinerzeit diskutierte Ansätze:  Ein von den Kommunen zu zahlender Eingliederungsbeitrag hätte arbeitsfähige Sozialhilfe­empfänger in die Arbeitslosenhilfe und damit in die Alleinzuständigkeit der Arbeitsämter bringen können. Der  Umweg über eine geförderte beitragspflichtige Beschäftigung wäre dann nicht mehr nötig gewesen. Wenn die Statussicherung reduziert werden sollte, hätte dies bei andauerndem Arbeitslosenhilfe-Bezug auch eine Senkung des ausgezahlten Betrags bis hin zu einem armutsfesten Sockelbetrag getan.

Keine dauerhafte Lösung ohne Verfassungsänderung. Statt zu solch kleinen Lösungen kam es mit den Hartz-Gesetzen zu einem Pfadwechsel. Die Reformen schufen einen Zustand, der so nicht im Grundgesetz vorgesehen war - die seitdem notwendige Kooperation von Arbeitsagenturen und Sozialämtern fügt sich nicht in die Strukturen des deutschen Gemeinwesens ein, schreibt der Wissenschaftler: "Es gibt keine auf Dauer verfassungskonforme und politisch konsensfähige Form, wie diese originären Zuständigkeiten zusammengefügt werden könnten."

Wenn die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe nicht rückgängig gemacht werden soll, dann wäre eine Änderung des Grundgesetzes die einzig klare Lösung, so Knuth. Diesen Schritt scheint die Bundesregierung jedoch abzulehnen. Andere Auswege sind indes versperrt:

=> Das Modell der Optionskommunen lässt sich nicht zur Norm machen. Der für die Gesetzgebung zuständige Bund darf den Gemeinden keine Aufgaben übertragen. Die Kommunen können nur freiwillig tätig werden, aber die meisten Städte und Landkreise beabsichtigen das nicht.

=> Die Bundesagentur für Arbeit kann nicht allein die Zuständigkeit übernehmen. Laut Grundgesetz ist der Bund nur für "Soziale Versicherungsträger" zuständig. Das Arbeitslosengeld II ist aber keine Versicherungsleistung und kann im Gegensatz zur Arbeitslosenhilfe auch nicht als Ableger der Versicherung gelten.

Die Bundesregierung plant nun zweierlei. Sie scheint mehr als die bisherigen 69 Optionskommunen zulassen zu wollen. Und sie erwägt, die Arbeitsgemeinschaften von Arbeitsagentur und Sozialämtern rechtlich zu trennen - räumlich und praktisch sollen die ehemaligen Partner aber weiter möglichst eng zusammenarbeiten. Doch auch dieser Plan enthält zahlreiche Probleme, so der Forscher. Die Arbeitsagentur hätte die formale Zuständigkeit für das ALG II und das Sozialgeld - zwei Leistungen, die nicht nach der Logik einer ­Sozialversicherung ausgestaltet sind und darum nicht Bundessache sein dürfen. Die vorgesehene enge Kooperation birgt zudem datenschutz- und haushaltsrechtliche Unwägbarkeiten. Es sei fraglich, ob die rechtlich getrennten Partner wirklich so eng zusammenarbeiten können, wie es für eine ganzheitliche Versorgung der Arbeitssuchenden erforderlich wäre. Und es sei unklar, welche Anreize zu einer freiwilligen Zusammenarbeit überhaupt für Arbeitsagenturen und Kommunen bestehen.  

  • Sozialversicherung und Sozialfürsorge folgen unterschiedlichen Logiken. Die frühere Arbeitslosenhilfe gehörte zum System der Sozialversicherung, das Arbeitslosengeld II steht dazwischen. Zur Grafik

Matthias Knuth: Grundsicherung für Arbeitssuchende: ein hybrides Regime sozialer Sicherung auf der Suche nach seiner Governance, in: Silke Bothfeld, Claudia Bogedan, Werner Sesselmeier: Arbeitsmarktpolitik in der sozialen Marktwirtschaft, Wiesbaden 2009.

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