Quelle: HBS
Böckler ImpulsKonjunktur: Noch trägt die Binnennachfrage
Das Bruttoinlandsprodukt in Deutschland legt zu. Doch es ist unübersehbar, dass die Industrie schwächelt. Die Politik sollte jetzt handeln.
Die aktuelle wirtschaftliche Entwicklung „ist für Deutschland sehr außergewöhnlich“, stellen die Ökonomen des IMK in ihrer aktuellen Wachstumsprognose fest. In vergangenen Konjunkturzyklen habe stets die Industrie die Richtung und das Tempo vorgegeben, seit November 2018 sei dies nicht mehr so. Der stark vom Export abhängige Industriesektor bekomme die Schwäche des Welthandels zu spüren, die Industrieproduktion sei seit Monaten rückläufig. Noch werde die Konjunktur getragen von Beschäftigungszuwächsen und höheren Löhnen, die den privaten Konsum in Gang halten. Alles in allem dürfte das Bruttoinlandsprodukt nach Meinung der IMK-Experten in diesem Jahr um ein Prozent und im kommenden Jahr bei deutlich mehr Arbeitstagen um 1,6 Prozent zunehmen.
Dass die Konjunktur aktuell noch intakt ist, sollte nicht darüber hinwegtäuschen, in welcher gefährlichen Lage sich die deutsche Wirtschaft befindet. Es sei höchst unwahrscheinlich, schreiben die Ökonomen, dass eine derartige Zweiteilung der wirtschaftlichen Entwicklung – einerseits schwache Industrieproduktion, andererseits starke Dienstleistungsproduktion infolge eines dynamischen privaten Konsums – über einen längeren Zeitraum bestehen bleibt. Sollte die Industrie weiterhin schwächeln, dann wäre über kurz oder lang eine „gesamtwirtschaftliche Abschwächung mit negativen Auswirkungen für die Beschäftigung die Folge“.
Die weltwirtschaftlichen Risiken wie etwa drohende Handelskonflikte oder der bevorstehende Brexit lassen sich nur bedingt beeinflussen. Wohl aber könnte die Bundesregierung an anderer Stelle ansetzen, meinen die IMK-Ökonomen. Schließlich gingen die Herausforderungen in der Industrie weit über eine Schwäche des Welthandels hinaus. Bedeutender sei der notwendige Strukturwandel aufgrund von Digitalisierung und Klimaschutz. „Aufgabe des Staates wäre es, diesen Prozess insbesondere mit öffentlichen Investitionen zu fördern und zu begleiten“, so das IMK. „Dies wäre gegenwärtig umso wichtiger, als es einen hohen Bedarf an öffentlichen Infrastrukturinvestitionen gibt, während zugleich die private Investitionstätigkeit verhalten ist und die Industrieproduktion stockt.“ Mit dauerhaft höheren eigenen Investitionen und Förderprogrammen könnte die öffentliche Hand einen Anfang machen, zum Beispiel im öffentlichen Nahverkehr. Das Geld dafür wäre vorhanden. Schließlich dürfte der Überschuss des deutschen Fiskus in diesem Jahr bei 1,1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts liegen, im kommenden Jahr bei 0,9 Prozent. Das sind jeweils fast 40 Milliarden Euro, wovon etwa zwei Drittel auf die Gebietskörperschaften entfallen. „Es wäre wenig sinnvoll, diese Summe zum weiteren Schuldenabbau zu verwenden, statt die Mittel in die Modernisierung der Infrastruktur und damit eine Verbesserung der Produktionsbedingungen zu investieren“, lautet das Fazit der Konjunkturforscher.
Sebastian Dullien u. a.: Starke Inlandsnachfrage bewahrt Deutschland vor Rezession. Die konjunkturelle Lage in Deutschland zur Jahresmitte, IMK-Report Nr. 148, Juni 2019