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HBS Böckler Impuls

Immobilienmarkt: Niedrigzinsen verursachen keine Blasen

Ausgabe 19/2015

Für Immobilienblasen wird häufig eine zu laxe Geldpolitik verantwortlich gemacht. Belegen lässt sich das allerdings nicht. Gefährlich ist vielmehr eine lasche Regulierung.

Wie Seifenblasen entstehen, ist physikalisch gut geklärt und hängt mit Oberflächenspannung zusammen. Wie Spekulationsblasen, etwa auf Immobilienmärkten, entstehen, ist dagegen unter Experten ausgesprochen umstritten. Eine gefährliche Unklarheit, weil Spekulationsblasen Wirtschaftskrisen auslösen können. Zu den vermeintlichen Ursachen, die in der Debatte kursieren, gehört eine expansive Geldpolitik. Inwieweit entsprechende Erklärungen wissenschaftlich haltbar sind, haben Sebastian Dullien, Heike Joebges und Alejandro Márquez-Velázquez für das IMK untersucht. Die Ökonomen von der Berliner Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) haben die einschlägige Literatur ausgewertet und eigene empirische Analysen durchgeführt. Das Ergebnis: Dass zu niedrige Leitzinsen die jüngsten Blasen an den Immobilienmärkten verursacht hätten, erscheint weder theoretisch noch empirisch plausibel. Eine entscheidende Rolle haben dagegen Veränderungen bei der Regulierung gespielt, die riskanten neuen Finanzprodukten den Weg ebneten.

Schon darüber, was eine Immobilienblase überhaupt ausmacht, gebe es keinen Konsens, schreiben die Forscher. Die gängige Definition laufe darauf hinaus, dass die Preise für Immobilien den „wahren“ Wert übersteigen. Das ist möglich, wenn Häuser als Anlageobjekte dienen und die Käufer auf weiter steigende Preise vertrauen. Mit anderen Worten: Wenn der einzige Grund für hohe Preise der Glaube an noch höhere Preise ist, handelt es sich um eine Blase. Das Problem: Der „wahre“ oder fundamentale Wert von Wohneigentum ist sehr schwer zu ermitteln. Mathematisch entspräche er dem Gegenwartswert aller künftigen Mieteinnahmen – oder der Einsparungen durch den Wegfall von Mietzahlungen – abzüglich der Kosten für Instandhaltung. Da dafür sowohl Mieteinnahmen als auch das Zinsniveau prognostiziert werden müssen, ist diese Berechnung zwangsläufig eine unsichere Angelegenheit.

Wie vor diesem Hintergrund Blasen entstehen können, erklärt die ökonomische Literatur kaum. Eine der wenigen Theorien, die einen Zusammenhang zur Geldpolitik herstellen, beruht auf der sogenannten Geldillusion: Schwankungen des nominalen Zinsniveaus aufgrund eines unerwarteten Rückgangs der Inflation werden als Senkung der realen Zinssätze missverstanden, sodass die Finanzierung von Immobilien günstiger erscheint. Lockere Geldpolitik an sich wäre demnach nicht schädlich, betonen die Berliner Ökonomen, sondern allenfalls abrupte Politikwechsel der Zentralbank, die zu langfristig niedrigeren Inflationsraten führen.

Auch in der empirischen Literatur finden sich der Studie zufolge keine überzeugenden Belege für die These, dass expansive Geldpolitik Blasen verursacht. Dullien, Joebges und Márquez-Velázquez haben Daten der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich für 16 Industrieländer ab Mitte der 1980er-Jahre bis 2012 ausgewertet. Als Immobilienblasen haben sie Phasen definiert, in denen die Häuserpreise inflationsbereinigt zunächst um mehr als fünf Prozent jährlich steigen und später ebenso kräftig fallen. Als Indikator für die Ausrichtung der Geldpolitik haben die Wissenschaftler zum einen Abweichungen der nominalen Leitzinsen von der sogenannten Taylor-Regel verwendet, die das angemessene Zinsniveau aus Wachstum und Inflation ableitet: Je höher die erwartete Preissteigerung und das Wachstum sind, desto höher sollte der Leitzins sein. Zum anderen haben sie Abweichungen der realen Leitzinsen von ihrem langjährigen Trend betrachtet.

Wenn gleichzeitig Wirtschaftswachstum, Finanzmarktentwicklung und ausländische Kapitalzuflüsse berücksichtigt werden, zeigt sich: Ein stabiler Zusammenhang zwischen Blasenbildung und lockerer Geldpolitik ist nicht erkennbar, wenn man Abweichungen von der Taylor-Regel zum Maßstab nimmt. Lediglich starke Rückgänge der realen Zinsen sind statistisch relevant. Allerdings hängen die Auswirkungen von Zinsänderungen ganz entscheidend von der Entwicklung des Finanzmarktes ab: Je größer der Anteil der privaten Kredite am Bruttoinlandsprodukt ist oder je liberaler die Vorschriften für Verbriefungen sind – also für die Möglichkeit, mit Hypotheken Handel zu treiben –, desto größer der Effekt.

Um die Zusammenwirkung von Geldpolitik und Regulierung besser nachvollziehen zu können, haben Dullien, Joebges und Márquez-Velázquez sich die Entwicklung der Immobilienpreise in drei Ländern im Detail angeschaut. Zum einen haben sie sich der USA angenommen, wo es von Ende 1998 bis 2006 einen Boom auf dem Wohnungsmarkt gab, bevor die Blase platzte. Die Geldpolitik war in dieser Zeit ausgesprochen locker: Der Leitzins lag während der Boom-Phase permanent unter den Vorgaben der Taylor-Regel. Zugleich führten Änderungen in der Regulierung ab dem Jahr 2000 zu einem schwunghaften Handel mit sogenannten Credit Default Swaps, also mit Ausfallversicherungen unter anderem für verbriefte Hypotheken. Die Folge: Immer mehr Investoren interessierten sich für den scheinbar risikofreien Hypothekenhandel, was die Standards für Kredite unterminierte. Im Jahr 1997 lag die Summe der Hypotheken bei weniger als 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, bis 2008 stieg sie auf 90 Prozent. Nach Einschätzung der HTW-Forscher dürfte diese Entwicklung den Ausschlag für die Probleme am US-Immobilienmarkt gegeben haben.

Sozialer Wohnungsbau gegen Immobilienblasen

Dass expansive Geldpolitik keine notwendige Bedingung für Immobilienblasen ist, zeigt das Beispiel Großbritannien. Dort mündete der Boom, der 1997 begonnen hatte, 2009 in eine Krise. Die Politik der Bank of England war in diesem Zeitraum eher restriktiv: Der Leitzins lag fast durchgängig höher als von der Taylor-Regel verlangt und wurde erst 2009 als Reaktion auf die Krise kräftig gesenkt. Ähnlich wie in den USA scheinen „Finanzinnovationen“ eine entscheidende Rolle gespielt zu haben: Innerhalb von einem Jahrzehnt habe bei der Immobilienfinanzierung ein Wechsel weg von Banken und Bausparkassen hin zum Finanzmarkt stattgefunden, so die Autoren. Der Anteil der verbrieften Hypotheken betrug 2008 etwa 60 Prozent.

Als drittes Land haben die Wirtschaftswissenschaftler Österreich ausgewählt, wo die Immobilienpreise bis Mitte der 2000er-Jahre stagniert haben. Erst seit Kurzem sind hohe Preiszuwächse feststellbar. Zwischen 2000 und 2008 war der Leitzins in jedem Jahr niedriger, als es die Taylor-Regel vorsieht. Dass Österreich trotzdem von Blasen verschont geblieben ist, führen die Forscher zum einen auf die landestypischen Finanzierungsmodelle zurück: Üblich seien vergleichsweise hohe Eigenanteile und langfristige Finanzierung. Moderne strukturierte Verbriefungen sind dagegen erst seit 2005 möglich und machen lediglich 7 Prozent der Hypotheken aus. Ein weiterer wichtiger Faktor ist der Analyse zufolge der soziale Wohnungsbau: Mehr als 50 Prozent der österreichischen Mietwohnungen sind Genossenschafts- oder Gemeindewohnungen, was für bezahlbare Mieten und damit indirekt auch für stabile Preise auf dem Immobilienmarkt sorgt.

Insgesamt zeige der Ländervergleich, dass lockere Geldpolitik weder eine notwendige noch eine hinreichende Bedingung für Spekulationsblasen ist, resümieren die Ökonomen. Die verbreiteten Schuldzuweisungen an die Zentralbanken hätten eine extrem schwache wissenschaftliche Grundlage. Der Politik empfehlen Dullien, Joebges und Márquez-Velázquez, die Auswirkungen von riskanten Finanzinnovationen im Auge zu behalten, um Blasen zu verhindern. Dass hohe Zinsen zur Prävention eher ungeeignet sind, belege das Beispiel Großbritannien. Die Zentralbanken sollten stattdessen vor allem unerwartete Änderungen beim Inflationsniveau verhindern.

  • Während die USA und Großbritannien zuletzt mit Immobilienblasen zu kämpfen hatten, blieben die Häuserpreise in Österreich stabil. Grafik als CSV herunterladen Zur Grafik

Sebastian Dullien, Heike Joebges, Alejandro Márquez-Velázquez: What causes housing bubbles? A theoretical and empirical inquiry, IMK Study Nr. 43, Dezember 2015

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