Quelle: HBS
Böckler ImpulsArbeitsrecht: Neues Recht für digitale Arbeit
Die Zahl der Crowdworker wächst. Ist das Arbeitsrecht fit für diese Entwicklung? Das untersucht eine internationale Studie.
Mit dem digitalen Fortschritt entstehen neue Beschäftigungsformen: Crowdsourcing-Plattformen, die online Arbeitsaufträge an Tagelöhner in der ganzen Welt vermitteln, stellen für das Arbeitsrecht eine Herausforderung dar. Einen Überblick über die Rechtslage in Deutschland, Japan und den USA gibt eine vergleichende Studie, die Bernd Waas von der Universität Frankfurt am Main gemeinsam mit seinem japanischen Kollegen Katsutoshi Kezuka sowie den US-Forschern Wilma Liebman und Andrew Lyubarsky für das Hugo Sinzheimer Institut für Arbeitsrecht verfasst hat.
Waas weist darauf hin, dass unter den Begriff Crowdwork sehr vielschichtige Phänomene fallen. Das Spektrum der Aufgaben reiche von simpler und schlecht bezahlter „Mikroarbeit“ wie dem Sortieren von Bildern oder dem Abtippen von Daten bis hin zu komplexen Projekten etwa in den Bereichen Web-Design oder Forschung und Entwicklung.
Manche Plattformen ähneln digitalen Sweatshops
Der Markt für Crowdwork sei zuletzt deutlich gewachsen, schreibt der Jurist. Schätzungen zufolge waren 2013 weltweit 48 Millionen Personen bei entsprechenden Anbietern registriert, der Umsatz dürfte zwei Milliarden Dollar betragen haben. Für das Jahr 2020 rechnen Prognosen mit 15 bis 25 Milliarden Dollar. Zwei Drittel der Klickarbeiter kommen aus drei Ländern: den USA, Indien und den Philippinen. Doch auch in Deutschland gebe es deutliche Zuwächse, so Waas. Am größten sei die Nachfrage zurzeit in der Technologie- und Internetbranche. Angesichts der zunehmenden Verbreitung von Big Data sei aber davon auszugehen, dass andere Wirtschaftszweige nachziehen.
Die betriebswirtschaftlichen Vorteile von Crowdwork liegen dem Autor zufolge auf der Hand: Unternehmen hätten rund um die Uhr und weltweit flexiblen Zugriff auf Arbeitskräfte. Beschäftigte wiederum könnten frei entscheiden, wann und wo sie arbeiten möchten. Die Schattenseite: Wirtschaftliche Risiken und die Verantwortung für Krankenversicherung und Rente würden komplett auf die Arbeitnehmer verlagert, für die die Auftraggeber keinerlei Sozialabgaben bezahlen. Manche Plattformen ähnelten „digitalen Sweatshops“, die ihre Beschäftigten ausbeuten.
Inwieweit das Arbeitsrecht solchen Missständen Abhilfe schaffen kann, hängt nach Waas‘ Einschätzung von der Schlüsselfrage ab, ob Crowdworker überhaupt als Arbeitnehmer zu betrachten sind. Die Antwort fällt mit Blick auf die untersuchten Rechtssysteme ziemlich kompliziert aus. Denn Definitionen des Arbeitnehmerbegriffs nehmen jeweils auf eine Vielzahl von Kriterien und Faktoren Bezug. Dazu gehören beispielsweise die Dauerhaftigkeit einer Geschäftsbeziehung, der Grad der Kontrolle, die Integration in die betriebliche Organisation oder die wirtschaftliche Abhängigkeit. Das Ergebnis einer gerichtlichen Prüfung sei oft schwer vorherzusehen, so der Experte. Dass Crowdwork im Einzelfall als abhängige Beschäftigung anerkannt werde, sei zumindest nicht ausgeschlossen. Da die Plattformen den Auftraggebern in der Regel nur wenig direkte Kontrolle ermöglichen, dürften die Gerichte allerdings oft zu einem anderen Ergebnis kommen.
Nötig sind neue gesetzliche Definitionen für Arbeitnehmer und Arbeitgeber
Auch wer bei diesem Geschäftsmodell als Arbeitgeber in Frage kommt, stellt ein arbeitsrechtliches Problem dar: der Auftraggeber oder die Plattform? Das US-Recht sei in dieser Hinsicht vorbildlich, so der Jurist. Es sehe vor, dass zwei oder mehr Parteien gemeinsam als Arbeitgeber derselben Beschäftigten fungieren können, wenn sie gemeinsam über wesentliche Aspekte der Beschäftigung entscheiden.
Das deutsche Recht weise insofern eine hilfreiche Besonderheit auf, als es mit der „arbeitnehmerähnlichen Person“, die zwar nicht persönlich, aber wirtschaftlich abhängig ist, eine Kategorie zwischen Arbeitnehmern und Selbstständigen kennt. Ein Manko: Den Betroffenen stehe nur ein kleiner Teil der üblichen Arbeitnehmerrechte zu; weder der Kündigungsschutz noch der Mindestlohn gelte für sie. Zudem seien Crowdworker typischerweise für mehrere Auftraggeber tätig.
Ansonsten seien auch Selbstständige nicht völlig schutzlos, stellt Waas fest. Laut dem Bürgerlichen Gesetzbuch sind vertragliche Bestimmungen unwirksam, wenn sie einen Vertragspartner „entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen“. In den USA habe dagegen das Prinzip der Vertragsfreiheit Vorrang.
Alles in allem biete die aktuelle Rechtslage vergleichsweise wenig Schutz für Crowdworker, urteilt der Rechtswissenschaftler. Als denkbare Reformschritte nennt er die obligatorische Einbeziehung von Selbstständigen in die Sozialversicherungssysteme sowie neue gesetzliche Definitionen von Arbeitnehmern und Arbeitgebern. Da beim Crowdsourcing ähnlich wie bei der Leiharbeit drei Parteien beteiligt sind, empfiehlt er, zu prüfen, inwieweit dieselbe Regulierung anwendbar wäre. Ebenfalls als hilfreiche Anregung könnten sich Gesetze zum Schutz von industriellen Heimarbeitern erweisen. Das deutsche Heimarbeitsgesetz sehe beispielsweise vor, dass Gewerkschaften und Vereinigungen von Auftraggebern gemeinsam die Einhaltung von Regeln überwachen. Ansonsten sollte es Crowdworkern leichter gemacht werden, sich zu organisieren, etwa indem Plattformen für den Austausch zwischen Klickarbeitern und die Bewertung von Auftraggebern geschaffen werden.
Mit guter Arbeit hat Crowdwork oft wenig zu tun. Als ein wichtiger Grund gilt der grenzüberschreitende Charakter dieses Geschäftsmodells: Weil die Crowd sich über die ganze Welt verteilt, kann nationalstaatliche Regulierung wenig ausrichten. Wie es trotzdem gelingen könnte, angemessene Arbeitsbedingungen rechtlich sicherzustellen, damit hat sich die von der Hans-Böckler-Stiftung initiierte Expertenkommission „Arbeit der Zukunft“ befasst. Als ein möglicher Ansatz wurde die Einführung eines verpflichtenden „Bestellerprinzips“ für digitale Arbeit diskutiert. Der Grundgedanke: Für die Bezahlung und die Rechte von Crowdworkern sollte nicht ausschlaggebend sein, wo die Leistung erbracht wird, sondern wo der Auftraggeber seinen Sitz hat. Wenn ein deutsches Unternehmen über eine digitale Plattform Dienstleistungen vergibt, würde demnach deutsches oder EU-Recht gelten. Das heißt: Der Mindestlohn und das deutsche Arbeitsrecht wären auch dann einzuhalten, wenn der Auftragnehmer im Ausland lebt. Für eine erfolgreiche Umsetzung des Bestellerprinzips müssten aus Sicht der Kommission allerdings noch eine Reihe offener Fragen geklärt werden. Das betrifft zum einen die Regelungsreichweite: Eine Lösung auf europäischer Ebene – analog zur Entsenderichtlinie – wäre nach Ansicht der Experten zwar möglich und ein erheblicher Fortschritt. Wenn Auftraggeber oder Crowdworker außerhalb der EU angesiedelt sind, würde EU-Recht allerdings nicht mehr greifen. Ein weiteres Problem: Crowdworker gelten nicht als abhängig Beschäftigte, sondern als Selbstständige. Für einen wirksamen arbeitsrechtlichen Schutz wäre eine Neudefinition des Arbeitnehmerbegriffs nötig, so die Kommission. Zudem empfehlen die Experten, zwischen verschiedenen Formen digitaler Plattformen zu unterscheiden: Anbieter wie der Fahrdienstvermittler Uber, deren Geschäftsmodell auf ortsgebundenen Dienstleistungen basiert, sollten rechtlich selbst als Arbeitgeber statt als reine Vermittler eingestuft werden. Das verbindliche Bestellerprinzip sollte dagegen für diejenigen Plattformen gelten, die ortsungebundene Klickarbeit vermitteln.
Kerstin Jürgens, Reiner Hoffmann u.a.: Arbeit transformieren! Denkanstöße der Kommission „Arbeit der Zukunft“, Bielefeld 2017 (ab Seite 37)
Bernd Waas, Wilma B. Liebman, Andrew Lyubarsky, Katsutoshi Kezuka: Crowdwork – A Comparative Law Perspective, HSI-Schriftenreihe Band 22, Bund-Verlag, Frankfurt a. M. 2017