Quelle: HBS
Böckler ImpulsFinanzmarkt: Neue Regeln mindern Risiken
Die Finanzkrise zeigt auf eindringliche Weise, wie instabil deregulierte Finanzmärkte sind. Nur eine intelligente Re-Regulierung kann das Risiko neuer Erschütterungen vermindern, so das IMK.
Nach der Krise ist vor der Krise - dieses Muster haben die Wissenschaftler an den internationalen Finanzmärkten zuletzt gehäuft beobachtet: Bereits zum zweiten Mal nach dem Platzen der Dotcom-Blase 2000/2001 hätten Instabilitäten, die als spekulative Übertreibungen auf den Kapitalmärkten begannen, zu einem Abbruch eines globalen Konjunkturaufschwungs geführt. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind davon doppelt betroffen: Ihr Risiko, den Arbeitsplatz zu verlieren, steigt. Zugleich leidet ihre Altersversorgung, die auch in Deutschland zunehmend über den Kapitalmarkt abgedeckt werden sollte.
Das IMK hält deshalb grundlegende Veränderungen im Finanzsystem für unerlässlich. Die Wirtschaftspolitik müsse "verhindern, dass es erneut zu einer Gefahr für die Konjunktur werden kann", schreiben die Wissenschaftler in ihrer Analyse vom 8. Oktober. Aus gesamtwirtschaftlicher Sicht sei es wichtig, dass das Finanzsystem wieder stärker seine originäre Aufgabe übernehme: die effiziente Finanzierung von langfristig ausgerichteten Realinvestitionen. Ein Abschied vom Eigenleben der vergangenen Jahre bedeutet aus Sicht der Ökonomen auch eine Abkehr von Renditevorstellungen, die weit über denen in der Realwirtschaft liegen: "Eigenkapitalrenditen von deutlich über zehn Prozent über mehrere Jahre sind ein Indikator für solche Verwerfungen und spekulative Prozesse."
Als Eckpunkte einer intelligenten Re-Regulierung der Finanzmärkte nennt das IMK fünf Punkte:
Standardisierung von Finanztiteln. Sie soll für mehr Markttransparenz sorgen und den gerade bei so genannten "Finanzmarktinnovationen" bislang enormen Informationsvorteil des Anbieters gegenüber dem Käufer relativieren. Der Erwerber wäre dann besser über die mit dem Kauf verbundenen Risiken informiert. Nach Vorstellung des IMK könnte eine bei der EZB oder EU-Kommission angesiedelte Kommission über Standards entscheiden. Sind die Finanztitel standardisiert, reduziert das auch die Kosten für den Handel mit solchen Produkten. Das ermöglicht eine breitere Marktstreuung als bisher. Gerade die Konzentration der Risiken auf wenige Spezialbanken habe sich in der derzeitigen Krise als fatal erwiesen.
Verbot von intransparenten, nicht-standardisierten Finanzprodukten. Dies würde der Spekulation mit Krediten entgegenwirken. Eine Prüfstelle für Finanzprodukte, ein "Finanz-TÜV", würde die Einhaltung überwachen. Bisher weitgehend unreguliert agierende Finanzinstitutionen wie Hedge-Fonds, Investment-Fonds und Private-Equity-Fonds sollten, ähnlich wie Geschäftsbanken, der öffentlichen Aufsicht unterliegen.
Haltequote bei verbrieften Krediten. Bei der Verbriefung von Krediten soll die ausgebende Bank zehn Prozent der Kredite in ihrer Bilanz halten müssen, empfiehlt das IMK. Damit hätte sie einen Anreiz zur Begrenzung der Ausfallunsicherheit. Genauso sollten sich die Bonussysteme der Finanzinstitute - aber auch jene der Industrie- und Handelsunternehmen - weniger an kurzfristigen Erfolgen orientieren und stattdessen die längerfristige Solidität von Anlageentscheidungen belohnen.
Änderung der Bilanzierungsregeln. Nach den international maßgeblichen IFRS-Standards und der Basel-II-Regulierung müssen Finanzinstitute je nach Risikobewertung ihrer Anlagen Eigenkapital vorhalten. Das ist sinnvoll. Allerdings zeigt die aktuelle Krise nach der IMK-Analyse, dass die Risikobewertung durch Rating-Agenturen oder Banken prozyklisch wirkt. In Boomzeiten kann das für eine Überhitzung sorgen. Im Abschwung dagegen verschärft die Bilanzierungspraxis die Krise. Unternehmen sind gezwungen, rasch ihre Vermögenswerte in der Bilanz zu korrigieren. Abschreibungen können dann auf dem Markt zu einem Vertrauensverlust führen. Durch eine rasch umgesetzte Korrektur der Vorschriften könnten Eskalationen verhindert werden. So könnten alle Unternehmen der Finanzbranche dazu verpflichtet werden, Mindestreserven auf ihre Finanzaktiva bei der Zentralbank zu hinterlegen. Diese "Asset-Based-Reserve-Requirements" wirken laut IMK antizyklisch.
Die durch die Deregulierungen des Finanzsektors erzeugte Kurzfristorientierung und die Übertreibungen an den Finanzmärkten ließen sich noch durch weitere Maßnahmen begrenzen. Dazu zählt das IMK: Ein schärferes gesetzliches Limit für Aktienrückkäufe, eine Begrenzung und Mindesthaltedauer für Aktienoptionen des Managements, eine Begrenzung der Schuldenfinanzierung von Aktienaufkäufen, eine Kopplung von Stimmrechten an die Aktienhaltedauer, die Einführung einer Finanztransaktionssteuer sowie die Rücknahme der Steuerbefreiung von Veräußerungsgewinnen auch für Kapitalgesellschaften.
Eckhard Hein, Gustav Horn, Heike Joebges, Till van Treeck, Rudolf Zwiener: Finanzmarktkrise: erste Hilfe und langfristige Prävention (pdf), IMK Policy Brief, Oktober 2008