Quelle: HBS
Böckler ImpulsGender: Neue Perspektiven im Aufsichtsrat
Weibliche Aufsichtsratsmitglieder tun sich nicht nur durch Fachkompetenz hervor. Sie tragen auch zur Versachlichung von Diskussionen und zur Konfliktlösung bei.
Seit drei Jahren gilt die Quote: Für Aufsichtsräte börsennotierter Kapitalgesellschaften mit paritätischer Mitbestimmung ist ein Frauenanteil von mindestens 30 Prozent gesetzlich vorgeschrieben. Auf die betroffenen Unternehmen dürfte sich diese Vorgabe laut einer von der Hans-Böckler-Stiftung geförderten Studie positiv auswirken: Jasmin Joecks, Kerstin Pull und Katrin Scharfenkamp von der Universität Tübingen haben untersucht, wie Aufsichtsräte die Rolle weiblicher Mitglieder wahrnehmen. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass Frauen in mehrfacher Hinsicht zu besseren Entscheidungen beitragen.
Die Wirtschaftswissenschaftlerinnen haben für ihre Untersuchung 17 Mitglieder von Aufsichtsräten börsennotierter Konzerne und eines Familienunternehmens in unterschiedlichen Branchen ausführlich befragt. Als Interviewpartner standen neun Frauen und acht Männer zur Verfügung, acht Arbeitnehmervertreter und neun von der Kapitalseite.
Die Teilnehmer der Studie wurden aufgefordert,eine typische Situation zu beschreiben, die sie in ihrer Tätigkeit als Aufseher erlebt haben, und die Rolle von Frauen in dieser spezifischen Situation zu reflektieren. Diese Befragungstechnik sollte den Forscherinnen zufolge die Interviewten davon abhalten, Geschlechterstereotype zu reproduzieren, ohne sie mit eigenen Erfahrungen zu untermauern. Das sei ein Vorteil gegenüber abstrakten Fragen nach der Rolle von Aufsichtsrätinnen oder hypothetischen Situationen.
Als typische Arbeitssituationen wurden offzielle Aufsichtsratssitzungen, informelle Unterhaltungen außerhalb von Sitzungen oder vorbereitende Treffen der Arbeitnehmerbank oder der Kapitalvertreter geschildert. Inhaltlich ging es um Jahresberichte, Vorschläge für die Berufung neuer Aufsichtsräte oder Anträge des Vorstands.
Die Frage, ob die ausgewählte Situation mit mehr Frauen anders verlaufen wäre, haben die meisten Befragten zunächst verneint. Das Geschlecht spiele keine Rolle, die Persönlichkeit sei entscheidend. Weibliche Aufsichtsräte seien nicht wegen ihres Geschlechts, sondern wegen ihrer Kompetenz berufen worden. Mehrfach wurde allerdings auch betont, dass Frauen sich in ihrer Expertise von Männern unterscheiden. Sie brächten neue Perspektiven und Erfahrungen ein: „Sie nehmen andere Dinge wahr und nehmen Dinge anders wahr.“ Erwähnt wurde auch, dass sie im Vergleich zu Männern praktischer orientiert sind und nicht in erster Linie ihre eigene Performance im Blick haben. Offenbar zeichneten sich Frauen also durch einzigartige Expertise aus, die zu besseren, ausgewogeneren Entscheidungen beitragen dürfte, so die Autorinnen.
Aus den Interviews geht zudem hervor, dass Frauen mehr Objektivität in die Diskussionen bringen, sie versachlichen und entemotionalisieren. Männer neigten zu Abschweifungen sowie dazu, bereits Gesagtes noch einmal zu sagen, bloß um mitzureden. Je mehr Frauen im Raum sind, desto kürzer fielen die Beiträge aus, desto mehr nähmen sich alle zurück. Weibliche Aufsichtsräte stellen nach Ansicht der Befragten auch mehr Fragen, wünschen Erklärungen, wollen mehr Details wissen, dulden kein rüdes Verhalten. Schon ihre Anwesenheit habe eine disziplinierende Wirkung auf Männer: Niemand wolle sich durch Herumbrüllen blamieren, es gebe weniger persönliche Angriffe.
Eine weitere wichtige Rolle, die die Befragten weiblichen Aufsichtsräten zuschreiben, ist die der Vermittlerin: Frauen seien besser in der Lage, unterschiedliche Interessen und Meinungen auszutarieren und in Pattsituationen als „Eisbrecher“ zu fungieren. Das sei besonders wichtig in mitbestimmten Aufsichtsräten, wo es außerhalb der offiziellen Sitzungen wenig Kommunikation zwischen den Vertretern der Arbeitnehmer und der Anteilseigner gebe.
Alles in allem, so die Schlussfolgerung der Wissenschaftlerinnen, spreche einiges dafür, dass weibliche Mitglieder die Funktionalität von Aufsichtsräten verbessern: Durch neue Sichtweisen erleichterten sie innovative Lösungen, durch Versachlichung machten sie Diskussionen effizienter, als Vermittlerinnen ermöglichten sie Kompromisse in verfahrenen Situationen.
Jasmin Joecks, Kerstin Pull, Katrin Scharfenkamp: Perceived roles of women directors on supervisory boards: Insights from a qualitative study, German Journal of Human Resource Management 1/2019