Quelle: HBS
Böckler ImpulsBildung: Nachhilfe fördert Ungleichheit
Mit kommerzieller Nachhilfe wird in Deutschland mehr als eine Milliarde umgesetzt. Statt soziale Unterschiede auszubügeln, verstärken die außerschulischen Förderstunden sie eher.
Mit der Verbreitung öffentlicher Schulen in der Neuzeit wurden Privatlehrer zum kuriosen Randphänomen. Seit einiger Zeit erlebt der Privatunterricht in Form der Nachhilfe abseits staatlicher Aufsicht allerdings ein Comeback: in Form von Nachhilfestunden, zuletzt befeuert durch den sogenannten Pisa-Schock. Die meiste Nachhilfe bekommt der Nachwuchs höherer Schichten – deren Angehörige häufig von Abstiegsängsten geplagt sind, die sie auf ihre Kinder projizieren. Das zeigt eine Untersuchung der Bildungsforscher Klaus Birkelbach sowie Rolf und Birte Dobischat für die Hans-Böckler-Stiftung. Die Wissenschaftler haben eine Vielzahl von Forschungsarbeiten ausgewertet sowie eine Umfrage unter Nachhilfefirmen durchgeführt.
Wie viele Kinder gehen zu kommerziellen Instituten wie Studienkreis oder Kumon oder zur Abiturientin aus der Nachbarschaft, weil sie sich mit Hausaufgaben und Klausuren schwertun oder die Eltern nicht mit den Noten zufrieden sind? Eine offizielle Nachhilfestatistik gibt es nicht. Sicher ist dennoch: Seit den 1970er-Jahren hat die Zahl zugenommen. Je nach Studie und Art der Abgrenzung schwanken die aktuellen Angaben zwischen 6 und 27 Prozent aller Schüler. Bei den Fünfzehnjährigen – in dieser Altersklasse ist Nachhilfe besonders häufig – nehmen einer neueren Untersuchung zufolge 29 Prozent private Förderstunden in Anspruch. Bei Schulanfängern ist Nachhilfe normalerweise noch kein Thema, doch bereits von den Achtjährigen bekommen 6 Prozent zusätzliche Stunden.
Nach Schätzungen werden jedes Jahr mehr als eine Milliarde Euro für Nachhilfestunden ausgegeben. Die Gründe für das Wachstum des Nachhilfemarktes sehen die Bildungsforscher in zunehmender Unzufriedenheit der Eltern mit dem öffentlichen Schulsystem, gestiegenem Leistungsdruck, einem verschärften Wettbewerb um aussichtsreiche Bildungswege und in der Folge einem gestiegenen Ehrgeiz der Eltern. Letzteren geht es weniger um die Lerninhalte als um gute Zeugnisse, so die Studie. Es sind auch längst nicht mehr nur die Versetzungsgefährdeten, die zur Nachhilfe angemeldet werden, sondern immer häufiger Dreier-Kandidaten. Eingebettet sei diese Entwicklung in einen allgemeinen Trend zu „Kommerzialisierung und Privatisierung an den Rändern der Bildungslandschaft“.
Mehr Nachhilfe für Kinder aus wohlhabenden Familien
Bezahlte Nachhilfestunden nehmen 13 Prozent der Kinder aus armen Elternhäusern, die weniger als die Hälfte des mittleren Einkommens zur Verfügung haben. In der Mittelschicht sind es um die 20 Prozent. Bei Familien, die mehr als das Doppelte des mittleren Einkommens verdienen, kümmert sich um fast jedes dritte Kind ein Nachhilfelehrer. Damit bestätige sich die bereits aus früheren Studien abgeleitete These, „dass kommerzielle Nachhilfe soziale Ungleichheiten tendenziell verstärkt“, so die Wissenschaftler. Eine Gruppe, die bei der Nachhilfe besonders deutlich zu kurz komme, seien die Migranten. Das Geschlecht der Kinder und die Bildungsabschlüsse der Eltern haben den Analysen zufolge hingegen keinen merklichen Einfluss auf die Nachhilfewahrscheinlichkeit.
Um die unbefriedigenden sozialen Konsequenzen der „Parallelwelt Nachhilfe“ zu korrigieren, empfehlen die Bildungsexperten, „das Nachhilfegeschehen in Deutschland, insbesondere das Geschäftsfeld der kommerziellen Nachhilfe, in formalisierte Verfahren der öffentlich verantworteten Genehmigung, Kontrolle und Qualitätssicherung mit einem verbindlichen Modus in der Anwendung von Prüfkriterien einzubinden“. Das „originär öffentliche Gut Bildung“ müsse „aus der privatwirtschaftlichen Umklammerung“ gelöst werden – damit die Förderungsbedürftigen Unterstützung bekommen und nicht in erster Linie die Sprösslinge ehrgeiziger Besserverdiener.
Klaus Birkelbach, Rolf Dobischat, Birte Dobischat: Außerschulische Nachhilfe. Ein prosperierender Bildungsmarkt im Spannungsfeld zwischen kommerziellen und öffentlichen Interessen, Study der Forschungsförderung in der Hans-Böckler-Stiftung Nr. 348, Februar 2017 (im Erscheinen)