Quelle: HBS
Böckler ImpulsFamilienernährerinnen: Nach dem Job wartet die Familie
Besonders in Ostdeutschland ernähren Frauen zunehmend ihre Familie. Dabei sorgen sie in der Regel auch weiterhin für Haushalt und Kinder – eine Doppelbelastung.
Wer beim Begriff „Familienernährerin“ an die Karrierefrau in Führungsposition denkt, erfasst nur einen kleinen Ausschnitt einer heterogenen Gruppe. WSI-Forscherin Christina Klenner hat zusammen mit Katrin Menke und Svenja Pfahl vom Berliner Institut für sozialwissenschaftlichen Transfer die Lebenssituation ostdeutscher Familienernährerinnen untersucht und eine Typologie der Familienernährerinnen in Paarhaushalten entwickelt. Dazu werteten sie Daten des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) aus und führten Intensiv-Interviews mit rund 40 Frauen. „Dass immer mehr Frauen die Familie ernähren, ist Ergebnis zweier sich simultan vollziehender Wandlungsprozesse“, fassen die Wissenschaftlerinnen zusammen:
Die zunehmend bessere Arbeitsmarktintegration von Frauen erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass sie ihrem Partner hinsichtlich ihrer beruflichen Position und damit auch ihres Einkommens überlegen sind. In Ostdeutschland, wo Frauenerwerbstätigkeit eine längere Tradition hat, ist in manchen Paaren die Frau höher qualifiziert als ihr Partner – entweder seit dem Beginn der Partnerschaft, etwa weil sie Akademikerin ist und er nicht, oder aufgrund eines erfolgreicheren beruflichen Aufstiegs der Frau. Auch Vollzeitarbeit ist im Osten unter Frauen weiter verbreitet als in Westdeutschland. Zudem liegt der Frauenanteil in Führungspositionen in Ostdeutschland höher als im Westen.
So kann es vorkommen, dass eine Familienernährerin ihren Partner beispielsweise während einer Weiterbildungsphase absichert. In diesem Typ der „ausgehandelten biografischen Egalität“ teilen Mann und Frau eine gemeinsame biografische Perspektive, erläutern die Forscherinnen. Wer von den beiden Partnern den Hauptlebensunterhalt erwirbt, soll phasenweise wechseln.
Eine bedeutendere Rolle spielt allerdings, dass viele Männer die Familie nicht oder nicht mehr ernähren können, weil sie arbeitslos oder erwerbsunfähig sind. Deren Partnerinnen sind häufig selbst nicht hoch qualifiziert, arbeiten in einem frauentypischen, niedrig entlohnten Beruf, womöglich in Teilzeit – und müssen dennoch den Löwenanteil des Familieneinkommens erwirtschaften. Andere Männer finden lediglich eine Teilzeitstelle oder verdienen im Rahmen ihrer Selbstständigkeit wenig – auch ihre Partnerinnen rutschen dann schnell in die Rolle der Familienernährerin.
Beide Prozesse sind im Osten ausgeprägter als im Westen, so die Wissenschaftlerinnen. Das erkläre die stärkere Verbreitung von Familienernährerinnen-Haushalten in Ostdeutschland: Inklusive der Alleinerziehenden wird hier fast jeder vierte Mehrpersonenhaushalt von einer Frau ernährt. Familienernährerinnen stellen „unter den gegenwärtigen Bedingungen die am meisten belastete Gruppe in der Gesellschaft dar“, stellen die Autorinnen fest.
Belastet fühlten sich die Frauen vom engen finanziellen Korsett aufgrund ihrer niedrigen Einkünfte, von der finanziellen Unsicherheit durch fehlende Rücklagen und von schlechten Aussichten für die Alterssicherung. Überdurchschnittlich lange Arbeitszeiten und fehlende Erholungszeiten führten zu hohen zeitlichen Belastungen. Einige Befragte berichteten von rücksichtslosem Verhalten von Vorgesetzten beim Thema Familienpflichten. Aus einer Auswertung von SOEP-Daten gehe zudem der schlechtere Gesundheitszustand von Familienernährerinnen im Vergleich zu anderen Frauen hervor.
Christina Klenner, Katrin Menke, Svenja Pfahl: Flexible Familienernährerinnen – Prekarität im Lebenszusammenhang ostdeutscher Frauen? (pdf), Endbericht zum WSI-Projekt „Flexible Familienernährerinnen“, Dezember 2011
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