Quelle: HBS
Böckler ImpulsDigitalisierung: Monopolkapitalismus reloaded
Längst nicht alles, was unter der Bezeichnung „Sharing Economy“ firmiert, ist so sozial, wie der Begriff vermuten lässt.
Teilen klingt gut. Doch was sich hinter dem Modewort „Sharing Economy“ verbirgt, ist in Wahrheit oft nichts anderes als eine neue Form der Ausbeutung. Darauf macht der Sozialökonom Siegfried Timpf in einer Analyse für die Böckler-Kommission Arbeit der Zukunft aufmerksam. Online-Plattformen wie Uber oder Airbnb suggerieren ihren Kunden, sie würden durch die Nutzung leerstehender Wohnungen oder ohnehin umherfahrender Autos Ressourcen sparen. „Die Grundidee hinter den kommerziellen Nutzungen der Plattformen erscheint als Inwertsetzung unternutzter Gebrauchsgüter“, schreibt Timpf. Aber eigentlich gehe es um „die Idee der Unternutzung menschlicher Arbeitskraft“.
In gewisser Weise erinnere die Ausbreitung der neuen Wirtschaftsweise an die erste industrielle Revolution. Damals wurden ebenfalls „Schranken für die Nutzung menschlicher Arbeitskraft“ eingerissen, handwerklich-ständische Strukturen wichen vielfach einer weitgehend regellosen Heimarbeit. Auch die Ökonomie des Teilens setze darauf, etablierte Strukturen zu umgehen, so Timpf. Den kommerziellen Anbietern gehe es um niedrige Kosten und die Verlagerung unternehmerischer Risiken auf Arbeitskräfte, die keinen Beschäftigtenstatus genießen. Autos fahrtüchtig und Wohnungen instand zu halten, ist Sache der Auftragnehmer. Sie haben keinen Mindestlohn, keine Sozialversicherung, keinen Kündigungsschutz. Wenn neue Geschäftsmodelle aber in erster Linie dazu dienen, bestehende Regulierungen zu umgehen, kommen auf die Gesellschaft hohe soziale Kosten zu, fürchtet Timpf. Beispielsweise könne die Nutzung von Airbnb Wohnraum in Ballungszentren weiter verknappen.
Das „idyllische Bild der Sharing Economy“ sei schon deshalb nicht stimmig, weil es häufig gar nicht um Teilen gehe – jedenfalls nicht um Teilen im Sinne eines ohne Profitinteresse vollzogenen, die Gemeinschaft stabilisierenden Austauschs, wie er etwa in Familien erfolge. Vielmehr seien oft einfach neue Modelle gemeint, Anbieter und Nachfrager am Markt zusammenzuführen. Dabei agieren die Beteiligten keineswegs auf Augenhöhe, betont der Wissenschaftler. Die Macht liegt auf der Seite der Plattformbetreiber und Auftraggeber, „sie ist in den Algorithmen verborgen“. Die Auftragnehmer stehen nicht nur in harter Konkurrenz zueinander. Sie sind zusätzlich unter Druck, weil sie auf die für Jeden sichtbaren Bewertungen ihrer Arbeit angewiesen sind. Die Macht der großen Plattformbetreiber wächst zudem zusehends, weil die Tendenz zur Monopolbildung in der digitalen Wirtschaft stark ausgeprägt ist: Das erfolgreichste Portal setzt sich in kurzer Zeit gegen alle anderen durch – „the winner takes it all“, so Timpf. Typisch für die Entwicklung von Plattformen sei in der Expansionsphase der niedrigschwellige Zugang, um neue Nutzer anzuziehen. Danach wird die Plattform für Konkurrenten geschlossen oder potenzielle Konkurrenten werden übernommen.
Dass sich die ungleichen Verhältnisse von allein auflösen oder mithilfe der Technik selbst beseitigt werden können, hält der Sozialforscher für eine Illusion. Stets würden soziale Fortschritte „durch Kämpfe und Verhandlungsmacht um die soziale Gestalt von Technologien erreicht, nicht als automatische Folge von Technologien“.
In vielen Unternehmen erfolgt die Kommunikation heute digital. Argumente werden per Mail ausgetauscht, abgestimmt wird auf Videokonferenzen. Aber kann der Betriebsrat ebenfalls seine Arbeit in die digitale Welt verlagern? Hier gibt es zumindest gewisse Grenzen und strittige Punkte. Natürlich können Arbeitnehmervertreter E-Mails schreiben, aber Beschlussfassungen per Mailverkehr sind nicht zulässig – denn das Hin- und Herschicken von E-Mails ersetzt nicht die inhaltliche Diskussion unter Anwesenden. Umstritten ist die Zulässigkeit von Videokonferenzen. Dagegen ließe sich etwa vorbringen, dass geheime Abstimmungen schwerfallen und Dritte die Sitzung unbemerkt von den anderen Teilnehmern leicht verfolgen könnten. Andererseits ist es heute auch nicht ausgeschlossen, dass eine Sitzung zum Beispiel per Smartphone abgehört oder aufgezeichnet wird. Relativ klar ist die Sache bei Betriebsratswahl und Betriebsversammlung: Beides lässt sich nach geltendem Recht nicht digital abhalten.
Siegfried Timpf: Zwei Gesichter der Sharing Economy (pdf), Hans-Böckler-Stiftung, April 2017
Caroline Fündling, Dominik Sorber: Arbeitswelt 4.0 – Benötigt das BetrVG ein Update in Sachen digitale Arbeitsweise des Betriebsrats?, Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht 9/2017