Quelle: HBS
Böckler ImpulsCorporate Governance: Mitbestimmung zahlt sich aus
Unternehmen mit Mitbestimmung im Aufsichtsrat haben in der Finanzkrise und in den Folgejahren wirtschaftlich besser abgeschnitten.
Unternehmen, bei denen Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat sitzen, haben sich seit der großen Finanz- und Wirtschaftskrise besser entwickelt als Firmen ohne Mitbestimmung. Das gilt für die operative Rendite, die Bewertung am Kapitalmarkt, die Beschäftigungsentwicklung sowie für die Investitionen in Anlagen und Forschung. So lag zum Beispiel die kumulierte Aktienrendite mitbestimmter Unternehmen zwischen 2006 und 2011 um 28 Prozentpunkte höher als bei vergleichbaren Firmen ohne Arbeitnehmerbeteiligung. Zu diesem Ergebnis kommt eine neue Studie von Marc Steffen Rapp von der Universität Marburg und Michael Wolff von der Universität Göttingen.
Die Mitbestimmung habe in der Krise kurzsichtiges Verhalten von Unternehmen verhindert und danach ein „schnelleres Umschalten in den Wachstumsmodus ermöglicht“, schreiben die beiden BWL-Professoren in einer von der Hans-Böckler-Stiftung geförderten Untersuchung. Nach Einschätzung der Experten sind diese Befunde angesichts fortschreitender Digitalisierung und Globalisierung auch für die Zukunft höchst bedeutsam: Die Arbeitnehmermitbestimmung im Aufsichtsrat könne „als Element einer modernen Corporate Governance verstanden werden, welche vor dem Hintergrund immer volatiler werdender wirtschaftlicher Rahmenbedingungen geeignet ist, mögliche Risiken von strategischen Transformationsprozessen abzufedern“.
Um die Wirkung der Arbeitnehmerbeteiligung im Aufsichtsrat zu überprüfen, haben die Wirtschaftswissenschaftler insgesamt 560 börsennotierte europäische Unternehmen untersucht, darunter die in Dax, MDax, TecDax und SDax notierten Firmen. Dabei haben sie Unternehmen aus Deutschland, von denen die meisten mitbestimmt sind, mit passenden Firmen aus anderen europäischen Ländern verglichen, die eine sehr ähnliche Größe haben, in derselben Branche aktiv und ähnlich stark diversifiziert sind – aber keine Mitbestimmung haben. So werden in der Studie dann beispielsweise Siemens und die Schweizer ABB verglichen oder Continental und Michelin.
Auf dieser Basis versuchen Rapp und Wolff durch vielfältige Analysen, ein möglichst umfassendes Bild vom Verhalten und der Entwicklung der Unternehmen zu erhalten. Komplexe Analysemethoden sollen dabei sicherstellen, dass beobachtete Unterschiede tatsächlich darauf beruhen, dass Arbeitnehmer in einem Teil der Unternehmen mitbestimmen, in einem anderen aber nicht, – und nicht auf statistischen „Hintergrundfaktoren“.
Die wesentlichen Ergebnisse
Operativer Geschäftserfolg: Als Maßstäbe nutzen die Wirtschaftswissenschaftler die einschlägigen betriebswirtschaftlichen Größen Kapital- und Umsatzrentabilität, berechnet als das Verhältnis von operativem Gewinn zu Bilanzsumme beziehungsweise Umsatz. Zunächst zeigt sich, dass die Rentabilität während der großen Wirtschaftskrise ab 2008 und unmittelbar danach in den meisten Unternehmen gelitten hat. Das ist wenig überraschend. Diese Entwicklung werde aber „mittels der Mitbestimmung reduziert und teils auch komplett kompensiert“, schreiben die Wirtschaftsprofessoren, so dass Unternehmen mit Arbeitnehmerbeteiligung im Aufsichtsrat signifikant besser abschnitten. Besonders deutlich ist dies bei der Umsatzrentabilität: Bei Unternehmen ohne Mitbestimmung sank sie auf dem Höhepunkt der Krise um 3,1 Prozent, während sie in paritätisch mitbestimmten Firmen um 2,7 Prozent stieg. In den Jahren nach der Krise ging die Rentabilität in Firmen ohne Arbeitnehmervertreter zunächst weiter zurück. In mitbestimmten Firmen legte sie dann um weitere 1,4 Prozent zu.
Um die Bewertung am Kapitalmarkt nachzuvollziehen, schauen Rapp und Wolff auf die Aktienrendite, die sich aus Kursentwicklung und Höhe der Dividende ergibt, und das Verhältnis von Kurs- und Substanzwert. Auch für diese beiden Größen erkennen die Forscher einen signifikant positiven Einfluss: „Bei der Kapitalmarktperformance verzeichnen mitbestimmte Unternehmen über den betrachteten Zeitraum höhere Renditen, weisen geringere Schwankungen auf und ihre Unternehmensbewertungen unterliegen einem weniger drastischen Verfall“ während der akuten Krise. Konkret betrug die kumulierte Aktienrendite in mitbestimmten Unternehmen von 2006 bis 2011 7,2 Prozent. In der europäischen Vergleichsgruppe ohne Arbeitnehmer in Aufsichtsrat oder Board lag sie dagegen bei minus 21 Prozent.
Verzicht auf Entlassungen: Die Forscher erklären das deutlich bessere Abschneiden der mitbestimmten Firmen auch mit systematisch anderen Unternehmensentscheidungen während der Krise. Am stärksten sticht dabei heraus, dass mitbestimmte Firmen meist auf größere Entlassungen verzichtet haben und ihre Beschäftigung recht stabil hielten, während Unternehmen ohne Arbeitnehmerbeteiligung kräftig Stellen strichen. So ging die Mitarbeiterzahl in paritätisch mitbestimmten Unternehmen in der akuten Krisenphase um 2,4 Prozent zurück, legte im Anschluss an die Krise bis 2011 wieder um 4,5 Prozent zu, womit sie das Vorkrisenniveau in der Summe um 2,1 Prozent übertraf. In Firmen ohne Mitbestimmung wurde die Belegschaft dagegen in der Krise um 7 Prozent reduziert und lag anschließend 1,9 Prozent unter dem Vorkrisenniveau.
Statt Stellen zu streichen, so die Forscher, hätten Unternehmen mit Mitbestimmung schneller „das Arbeitsentgelt nach unten hin angepasst“. Konkret sei zu beobachten, dass die durchschnittliche Vergütung in mitbestimmten Unternehmen vor der Krise spürbar höher war als in Firmen ohne Mitbestimmung. Während der Krise schwächt sich dieser Vorsprung ab, danach stellt sich die alte Relation wieder ein. Dabei dürfte eine große Rolle gespielt haben, dass große deutsche Firmen in der Krise oft die Arbeitszeit rasch und deutlich reduziert haben. Beschäftigte konnten Zeitguthaben auf ihren Arbeitszeitkonten „abfeiern“ oder bei der Arbeitszeit sogar ins Minus gehen, der zeitliche „Dispo“ wurde mit Anziehen der Konjunktur wieder ausgeglichen. Aus der arbeitswissenschaftlichen Forschung ist bekannt, dass solche Konten in Unternehmen mit Mitbestimmung deutlich häufiger sind als in anderen. Ein Grund dafür: Wenn sie einen Betriebsrat und tarifvertragliche Vereinbarungen an ihrer Seite haben, lassen sich Beschäftigte eher darauf ein, Arbeitszeit ohne sofortige Bezahlung auf die hohe Kante zu legen.
Anders als Unternehmen, die zahlreiche Mitarbeiter entlassen hatten, konnten mitbestimmte Unternehmen mit konstanten Beschäftigtenzahlen nach dem Abklingen der Krise schnell wieder ihre Produktion ausweiten.
Höhere und stabilere Investitionen: Als Investitionsgrößen haben die Wissenschaftler die Ausgaben für Forschung und Entwicklung sowie für neue Anlagen betrachtet. Bereits für die Zeit vor der Krise liefert die Studie Indizien dafür, dass mitbestimmte Unternehmen mehr investieren. Während der Finanz- und Wirtschaftskrise beobachten die Wirtschaftsprofessoren, „dass der negative Kriseneffekt mittels der Mitbestimmung aufgefangen wird“. Mitbestimmte Unternehmen fuhren ihre Investitionen also im Vergleich weniger deutlich zurück und weiteten sie nach der Krise stärker wieder aus. Fazit der Forscher: „Für essentielle Zukunftsinvestitionen ist insgesamt zu konstatieren, dass mitbestimmte Unternehmen an diesen stärker in der Krise festhalten, was ein weiterer wichtiger Indikator sein könnte, warum es mitbestimmten Unternehmen in kürzerer Zeit gelingt, an die vorherige Performance anzuknüpfen.“
Weniger Schulden, weniger Zukäufe: Vor der Krise haben die mitbestimmten Unternehmen nach Analyse der Forscher vorsichtiger gehaushaltet. Sie haben beispielsweise weniger Geld für Aktienrückkäufe ausgegeben und sich bei Zukäufen stärker zurückgehalten. Zugleich hatten sie weniger Schulden. In der Krise beobachten die Wissenschaftler keine signifikanten Unterschiede im Finanzgebaren – wohl, weil auch die übrigen Unternehmen zurücksteckten. Nach Ende der Krise sanken die Schuldenstände in mitbestimmten Firmen dann aber deutlich schneller.
Fazit: Mitbestimmung als Chance
Unter dem Strich zeichnet die Studie im Kontext der zurückliegenden Finanz- und Wirtschaftskrise ein sehr positives Bild der Mitbestimmung im Aufsichtsrat entlang vieler der untersuchten Dimensionen. Die Autoren sprechen daher der Arbeitnehmerbeteiligung an der Unternehmensspitze das Potenzial zu, eine dreifache Win-win-Situation zu schaffen: „In diesem Kontext kann die unternehmerische Mitbestimmung die Möglichkeit bieten, Risiken in Hinblick auf die Unternehmenssituation als auch auf die individuelle Situation von Arbeitnehmern besser abzufangen und damit auch die Volkswirtschaft als Ganzes zu schützen.“ Die BWL-Professoren ermutigen zu einem positiven Blick auf die Mitbestimmung: „Letztlich sollte die Partizipation von Mitarbeitern im Aufsichtsrat im Rahmen von zukünftigen Transformationsprozessen damit durchschnittlich nicht als Hindernis, sondern als Chance verstanden werden.“
Marc Steffen Rapp, Michael Wolff, Iuliia Udoieva, Jan C. Hennig: Wirkung der Mitbestimmung im Aufsichtsrat auf die Unternehmensführung. Eine empirische Analyse vor dem Hintergrund der Finanz- und Wirtschaftskrise (pdf). Study der Hans-Böckler-Stiftung Nr. 424