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Mitbestimmung in Gesundheitskonzernen stärken Böckler Impuls

Aufsichtsräte: Mitbestimmung in Gesundheitskonzernen stärken

Ausgabe 16/2021

Im Gesundheitswesen sind Beschäftigte häufig nicht im Aufsichtsrat vertreten. Gründe dafür sind Mitbestimmungsvermeidung ebenso wie Sonderrechte, etwa für kirchliche Konzerne.

Unternehmen der Gesundheits- und Pflegebranche sind gesellschaftlich wichtig, und ein Großteil ihrer Einnahmen stammt von den gesetzlichen Sozialversicherungen. Trotzdem können die Beschäftigten in den Aufsichtsräten großer Gesundheitskonzerne weniger mitreden, als das in anderen Wirtschaftsbereichen üblich ist. Eine paritätische Unternehmensmitbestimmung gibt es in weiten Teilen der Branche nicht. Zusätzlich problematisch sind in dieser Hinsicht Unternehmen in konfessioneller Trägerschaft, die gar nicht von der gesetzlichen Mitbestimmung erfasst sind. Zu diesem Ergebnis kommen Clara Behrend und Katharina Oerder vom MIT Institut in Bonn. Für ihre von der Hans-Böckler-Stiftung geförderte Analyse haben die Forscherinnen Daten aus dem Jahr 2015 von 59 Unternehmen mit jeweils mehr als 3000 Beschäftigten – unter anderem aus den Bereichen Krankenhäuser, Pflege- und Altenheime, Rehabilitation und Psychiatrie – untersucht. Im Mittelpunkt stand die Besetzung der Aufsichtsräte. Zudem haben sie einzelne Konzerne genauer beleuchtet, darunter Fresenius SE & Co. KGaA oder Agaplesion gAG. 

„Zahlreiche Gesundheits- und Pflegekonzerne nutzen gesetzliche Schlupflöcher zum vollständigen Aushebeln oder Reduzieren der Mitbestimmung. Und nicht wenige ignorieren schlicht rechtswidrig die Mitbestimmungsgesetze. Die Lage hat sich in den vergangenen Jahren sogar noch verschärft“, erklärt Sebastian Sick, Experte für Unternehmensmitbestimmung in der Hans-Böckler-Stiftung. Unternehmen, die Mitbestimmung umgehen oder ignorieren, müssten sich fragen lassen, wo ihre gesellschaftliche Verantwortung bleibt. „Wie will man sich für zukünftige Belastungen des Gesundheitssystems rüsten und entsprechendes Personal halten, wenn man den Beschäftigten die Mitsprache verwehrt?“, so Sick.

Mitsprache auf Augenhöhe ist Ausnahme

Sechs der 59 von Oerder und Behrend untersuchten Konzerne verfügten über einen paritätisch besetzten Aufsichtsrat. Das heißt: Nur in rund zehn Prozent der großen Gesundheitsunternehmen sind Arbeitnehmer- und Eigentümerseite gleich stark im Aufsichtsrat vertreten. Die Unternehmen, die ein paritätisch besetztes Gremium hatten, zählten mit einer Ausnahme zu den allergrößten Gesundheitskonzernen mit mehr als 10 000 Beschäftigten. Dies sei ein Hinweis darauf, dass „Unternehmensmitbestimmung mit zunehmender Größe der Konzerne eher umgesetzt wird“, schreiben die Forscherinnen. Doch selbst dort, wo ein Aufsichtsrat mit Arbeitnehmervertreterinnen und -vertretern besetzt war, sei es nicht unüblich gewesen, ihren Einfluss zu schwächen. Dies sei etwa durch Benennung eines zweiten stellvertretenden Vorsitzenden geschehen, durch die Auslagerung wichtiger Diskussionen in Ausschüsse oder durch die Verwendung einer Gesellschaftsform, in der der Aufsichtsrat weniger Rechte hat. So seien etwa bei einer KGaA die Rechte des Aufsichtsgremiums grundsätzlich schwächer als bei der AG und der GmbH.

Der Gesundheitsbereich ist ein Sonderfall: Viele Unternehmen werden von konfessionellen Trägern geführt, die nicht dem Mitbestimmungsgesetz unterliegen. 39 Konzerne, also zwei Drittel der in der Studie untersuchten Unternehmen, fielen in diese Kategorie. Nichtsdestotrotz könnten Konzerne in konfessioneller Trägerschaft die Unternehmensmitbestimmung freiwillig umsetzen. Dies taten nach eigenen Angaben jedoch nur sechs von ihnen, die alle der Diakonie angehörten. Paritätisch besetzt war dabei kein Aufsichtsrat.

Abhängig vom Wohlwollen des Arbeitgebers

Von den 20 Konzernen in privatwirtschaftlicher Hand hatten sechs einen Aufsichtsrat mit paritätischer Besetzung. Einige private Unternehmen unterliefen die Schwellenwerte, ab denen laut Gesetz Mitbestimmung gelten müsste, indem sie Mitarbeiter auf gemeinnützige Tochtergesellschaften verteilten. Andere hatten eine europäische Rechtsform wie zum Beispiel SE oder eine ausländische Rechtsform wie B. V. & Co. KG oder plc & Co KGaA gewählt, die nicht dem deutschen Mitbestimmungsrecht unterliegt. 

Doch auch wenn Beschäftigte im Aufsichtsrat beteiligt sind, hänge es – selbst in paritätisch besetzten Gremien – häufig vom Wohlwollen der Arbeitgeber ab, inwiefern sie tatsächlich mit Informationen versorgt werden oder gar Gehör finden, erklären Behrend und Oerder. Ob sie Einfluss auf Entscheidungen haben oder stets mithilfe des doppelten Stimmrechts des Vorsitzenden überstimmt werden, sei eine Frage der Unternehmenskultur.

Die Politik könne die Unternehmensmitbestimmung stärken – indem sie diese auf europäische und ausländische Rechtsformen oder gemeinnützige Tochterkonzerne ausdehnt. Außerdem brauche es wirksame Sanktionen für Unternehmen, die Mitbestimmung ignorieren, schreiben die Forscherinnen. Eine „wahrscheinlich kompliziertere und größere Aufgabe“ wäre es, auch konfessionelle Unternehmen, die die jeweiligen Schwellenwerte überschreiten, in den Geltungsbereich der Mitbestimmungsgesetze einzubeziehen.

Wenig Frauen in Aufsichtsräten

Auch in anderer Hinsicht haben die Gesundheitskonzerne Nachholbedarf: Der durchschnittliche Anteil von Frauen in Aufsichtsräten der untersuchten Unternehmen betrug 2015 rund 22 Prozent. Das war zwar ähnlich hoch wie im Durchschnitt der börsennotierten Unternehmen in Deutschland. Aber: Unter den Beschäftigten in den Gesundheitskonzernen lag der Frauenanteil zwischen 50 und 100 Prozent. Daran gemessen fiel der Frauenanteil in den Aufsichtsgremien äußerst gering aus. In den Aufsichtsräten der konfessionellen Unternehmen war er sogar noch geringer als in den privatwirtschaftlichen. In Aufsichtsräten der Gesundheitskonzerne mit Arbeitnehmerbeteiligung betrug der Frauenanteil knapp 30 Prozent, während er ohne Mitbestimmung bei durchschnittlich rund 18 Prozent lag.

Nicht nur in der Gesundheitsbranche sei Mitbestimmungsvermeidung verbreitet, sagt HBS-Experte Sick, und zwar besonders in solchen Unternehmen, die als systemrelevant gelten. Neben Gesundheits- und Pflegekonzernen seien das beispielsweise Unternehmen des Lebensmitteleinzelhandels sowie Drogeriemärkte. Aber auch die gesellschaftlich relevanten Immobilienkonzerne hätten häufig keine Arbeitnehmervertreter und -vertreterinnen im Aufsichtsrat. Bei einigen Skandal-Unternehmen gehe die Umgehung der Mitbestimmung einher mit anderen zweifelhaften Praktiken. „Die Nichtbeachtung der Mitbestimmung zeugt von einer fragwürdigen Unternehmenskultur und einem fragwürdigen Verhältnis zu Sozialpartnerschaft und sozialer Marktwirtschaft“, so Sick.

Clara Behrend, Katharina Oerder: Unternehmensmitbestimmung in Gesundheitskonzernen (pdf), Study der HBS-Forschungsförderung Nr. 457, April 2021
 

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