zurück
HBS Böckler Impuls

Sozialpolitik: Mit Kindern schlecht abgesichert

Ausgabe 12/2013

Bei der sozialen Situation von Risikofamilien schneidet Deutschland im Ländervergleich schlecht ab. Insbesondere Alleinerziehende sind oft von Armut bedroht, weil es an Erwerbsmöglichkeiten und staatlicher Unterstützung fehlt.

Wenn Eltern keinen Job haben oder für einen Niedriglohn arbeiten müssen, hat das weitreichende Folgen – weil nicht nur sie selbst, sondern auch ihre Kinder mit wenig Einkommen über die Runden kommen müssen. Welche Dimension dieses Problem hat und wie die Sozialpolitik damit umgeht, haben Thomas Bahle, Claudia Göbel und Vanessa Hubl vom Mannheimer Zentrum für Europäische Sozialforschung untersucht. Dafür haben sie die Situation „familiärer Risikogruppen“ in Deutschland, Dänemark, Frankreich, Großbritannien und den Niederlanden anhand von Daten der European Union Statistics on Income and Living Conditions (EU-SILC) analysiert. Den Ergebnissen zufolge ist Deutschland bei arbeitslosen Paaren mit Kindern und Alleinerziehenden „das Schlusslicht unter den betrachteten Ländern“, die soziale Absicherung dieser Familien ist unzureichend. Die Folge: Ein erheblicher Teil von ihnen lebt unter der Armutsgrenze.

Als familiäre Risikogruppen betrachten die Sozialforscher alleinerziehende Arbeitslose oder Geringverdiener und Paare mit Kindern, wenn beide Eltern keinen Job haben oder aufgrund von Niedriglohnbeschäftigung oder geringer Arbeitszeit nur wenig verdienen. In den untersuchten Ländern sind die meisten Paare gut in den Arbeitsmarkt integriert: Der Anteil der Risikogruppen schwankt zwischen 5 Prozent in Dänemark und 20 Prozent in Großbritannien. Weniger gut sieht es dagegen bei den Müttern und Vätern ohne Partner aus: In Großbritannien gehören drei Viertel von ihnen zu einer Risikogruppe, in den Niederlanden 59 Prozent, in Frankreich 44 Prozent und in Dänemark ein Viertel. In Deutschland beträgt der Anteil fast zwei Drittel – 30 Prozent der Alleinerziehenden sind nicht erwerbstätig, 35 Prozent beziehen einen Niedriglohn.

Kitas fördern Arbeitsmarktintegration. Ein wesentlicher Grund für die vergleichsweise hohe Arbeitsmarktintegration von Familien in Dänemark und Frankreich dürfte den Autoren zufolge die gut ausgebaute Ganztagskinderbetreuung sein. In den Niederlanden trage die weite Verbreitung von Teilzeit dazu bei, dass viele Eltern erwerbstätig sind – auch wenn Teilzeitbeschäftigte oft wenig verdienen. Die größten Niedriglohnsektoren weisen im Ländervergleich allerdings Deutschland und Großbritannien auf. Die Sozialwissenschaftler vermuten, dass damit auch die geringe Beschäftigungsquote unter deutschen und britischen Alleinerziehenden zusammenhängen könnte: Angesichts der niedrigen Einkommen lohne sich eine berufliche Tätigkeit für viele Mütter und Väter kaum. Ein weiteres Problem sei die mangelnde oder teure Kinderbetreuung.

Deutsches Sozialsystem sichert unzureichend. Inwieweit familiären Risikogruppen tatsächlich Armut droht, hängt nicht nur vom Arbeitseinkommen der Eltern, sondern auch von der Qualität der sozialen Sicherung ab. Tendenziell, so Bahle, Göbel und Hubl, seien Mütter und Väter ohne Partner bei Sozialleistungen deutlich benachteiligt. So bleibe rund die Hälfte aller arbeitslosen Alleinerziehenden in Deutschland und Frankreich auch nach staatlichen Transfers unter der Armutsgrenze von 50 Prozent des nationalen Median-Haushaltseinkommens. Bei den alleinerziehenden Geringverdienern ist die deutsche Armutsquote mit 40 Prozent mit Abstand am höchsten. In Großbritannien ist der Anteil der Risikogruppen unter den Alleinerziehenden zwar größer als in Deutschland, das Armutsrisiko aber wesentlich geringer: Von den arbeitslosen Alleinerziehenden sind dank staatlicher Unterstützung lediglich 23 Prozent arm. In Dänemark dagegen sei die Armutsquote bei Geringverdienern zwar relativ hoch, schreiben die Wissenschaftler. Aber weil es keinen großen Niedriglohnsektor gebe, seien nur wenige dänische Familien von diesem Problem betroffen – ein Erfolg der flächendeckenden gewerkschaftlichen Lohnpolitik.

In Deutschland dagegen, konstatieren die Forscher, gebe es für Risikofamilien „die schlechteste aller Welten“: Einerseits seien viele Familien kaum in den Arbeitsmarkt integriert, andererseits reichten staatliche Transfers oft nicht aus, um Arbeitslose oder Geringverdiener über die Armutsgrenze zu heben. Eine drängende sozialstaatliche und gesellschaftspolitische Herausforderung sei daher, für eine bessere Erwerbsintegration von Alleinerziehenden sowie eine ausreichende soziale Absicherung für Nichterwerbstätige und Geringverdiener zu sorgen.

  • Über 40 Prozent der alleinerziehenden Geringverdiener in Deutschland bleiben auch nach staatlichen Transfers unter der Armutsgrenze von 50 Prozent des Median-Haushaltseinkommens. Zur Grafik

Thomas Bahle, Claudia Göbel, Vanessa Hubl: Familiäre Risikogruppen im europäischen Vergleich , in: WSI-Mitteilungen 3/2013.

Datenbank EuMin - Mindestsicherung in Europa

Impuls-Beitrag als PDF

Zugehörige Themen

Der Beitrag wurde zu Ihrem Merkzettel hinzugefügt.

Merkzettel öffnen