Quelle: HBS
Böckler ImpulsArbeitsmarkt: Mindestlohn schadet Ungelernten nicht
Arbeitsmarktregulierungen wie Mindestlöhne haben offenbar keinen Einfluss auf die Jobaussichten von gering Qualifizierten. Das zeigt ein internationaler Vergleich.
Menschen, die kaum formale Bildung vorweisen können, haben es am Arbeitsmarkt besonders schwer. In vielen Ländern übersteigt die Arbeitslosenquote von gering Qualifizierten die der Erwerbslosen mit hohen Abschlüssen um mehr als das Doppelte. Doch die Hürden für Ungelernte sind nicht überall gleich hoch - 2007 waren in Deutschland etwa 18 Prozent der gering Qualifizierten arbeitslos, in den Niederlanden nur 4 Prozent. Daniel Oesch, Politikwissenschaftler von der Universität Genf, hat mögliche Einflussfaktoren auf die Arbeitslosenquote gering Qualifizierter untersucht. Er hat Arbeitsmarkt- und Wirtschaftsdaten aus 21 OECD-Ländern von 1991 bis 2006 ausgewertet und gängige Hypothesen zur Auswirkung von Lohnbildung, Arbeitsmarktpolitik, Globalisierungsgrad und Geldpolitik überprüft.
Die Regressionsanalyse ergab: Lediglich zwei der untersuchten Faktoren haben einen statistisch signifikanten Einfluss auf die Beschäftigungsquote gering Qualifizierter. Allein eine aktive Arbeitsmarkt- und eine wachstumsfreundliche Geldpolitik haben einen messbaren Effekt - und zwar einen positiven. Kein signifikanter Zusammenhang zeigt sich dagegen bei Faktoren wie der Höhe des Mindestlohns, der Tarifabdeckung, dem Zentralisierungsgrad von Lohnverhandlungen und dem Ausmaß der Lohnspreizung, dem Kündigungsschutz oder der Höhe der Arbeitslosenunterstützung.
Am Arbeitsmarkt kommt es auf die richtige Kombination von makro- und mikroökonomischer Politik an, folgert der Wissenschaftler: Auf der Makro-Ebene geht es darum, das Wachstumspotenzial auszuschöpfen und so neue Beschäftigung zu schaffen; auf der Mikro-Ebene führen Arbeitsmarktmaßnahmen dann Arbeitslose und offene Stellen zusammen. Oesch illustriert seinen statistischen Befund mit den wirtschafts- und arbeitsmarktpolitischen Entwicklungen von vier Ländern, in denen sich die Arbeitslosenquote gering Qualifizierter im Untersuchungszeitraum am deutlichsten geändert hat:
=> Dänemark verdreifachte in den 1990er-Jahren seine Ausgaben für Arbeitsmarktmaßnahmen. In der Folge sank die Arbeitslosenquote der niedrig Qualifizierten von gut 14 auf knapp 7 Prozent. Ebenfalls erfolgreich mit ihrer aktiven Arbeitmarktpolitik waren die Niederlande.
=> In Spanien profitierten Ungelernte von günstigen geldpolitischen Rahmenbedingungen, so Oesch. Hier sanken die Realzinsen mit der Euro-Einführung von sechs auf ein halbes Prozent. Die Arbeitslosenquote gering Qualifizierter ging anschließend von 17 Prozent im Jahr 1998 auf 9 Prozent 2006 zurück. Vergleichbare Entwicklungen hat Oesch auch in anderen Mittelmeerländern und Irland beobachtet.
Bemerkenswert sei die Tatsache, dass sich viele in der Öffentlichkeit verbreitete Thesen nicht bestätigt haben, schreibt der Forscher. "Die Daten liefern keinerlei Unterstützung für die Hypothese, dass ein strikter Kündigungsschutz mit höherer Arbeitslosigkeit einhergeht." Und es gebe keine Hinweise darauf, dass die Arbeitslosigkeit gering Qualifizierter von der Höhe der Mindestlöhne abhängt. Zudem fand der Wissenschaftler keinen Zusammenhang zwischen dem Ausmaß der Lohnspreizung und der Beschäftigungsquote von Ungelernten. Oesch resümiert: "Diese Ergebnisse lassen ernsthafte Zweifel an der oft formulierten Erwartung aufkommen, post-industrielle Volkswirtschaften könnten Vollbeschäftigung nur herstellen, indem sie das Lohngefüge nach unten öffnen und niedrig bezahlte Service-Jobs schaffen."
Auch die Globalisierung eignet sich der Studie zufolge nur wenig als Erklärung für die jeweilige Arbeitslosenquote der Ungelernten. Ob Länder stark oder weniger stark in den internationalen Handel verflochten sind oder ob Arbeitsmigranten die Jobkonkurrenz erhöhen: Beides hatte in der OECD-Welt keinen messbaren Einfluss auf die Jobchancen von gering Qualifizierten.
Daniel Oesch: What explains high unemployment among low-skilled workers? Evidence from 21 OECD countries (pdf), in: European Journal of Industrial Relations, 1/2010.