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Mindestlohn: Positive Signale aus Europa Böckler Impuls

Lohnpolitik : Mindestlohn: Positive Signale aus Europa

Ausgabe 14/2021

Die EU-Kommission hat einen Vorschlag zur Stärkung von Mindestlohn und Tarifbindung vorgelegt. Ob daraus tatsächlich eine EU-Richtlinie wird, hängt auch von der nächsten Bundesregierung ab.

Mindestlöhne senken oder einfrieren und Tarifsysteme schwächen, um mit niedrigeren Löhnen die Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern: Das war das Programm, das die EU Südeuropa nach der Finanzkrise verordnet hatte. Resultat: mehr Ungleichheit, dümpelnde Binnenwirtschaft, größere Abhängigkeit von den Exportbranchen, Euroskepsis. Inzwischen scheint man in Brüssel dazugelernt zu haben. Im Herbst 2020 hat die EU-Kommission Vorschläge für höhere und weiter reichende Mindestlöhne und zur Stärkung der kollektiven Lohnfindung vorgelegt. Die Begründung „liest sich wie das komplette Gegenprogramm zur Politik in der Finanzkrise“, so eine Analyse der Arbeitsmarktexperten Thorsten Schulten vom WSI und Torsten Müller vom Europäischen Gewerkschaftsinstitut ETUI. 

Der Richtlinienentwurf der EU-Kommission sieht vor, dass alle EU-Länder mit gesetzlichem Mindestlohn anhand klarer Kriterien für eine angemessene Höhe sorgen müssen. Wobei die Kommission davon ausgeht, dass die meisten Mindestlöhne heute zu niedrig für ein anständiges Leben sind, so Schulten und Müller. Zwar will der Entwurf den Mitgliedsstaaten kein exaktes Kriterium vorgeben, nach dem die Höhe des Mindestlohns zu bestimmen ist. Jedoch kommt etwa die mögliche Orientierungsmarke von 60 Prozent des mittleren Lohns im jeweiligen Land im Dokument vor. Damit ist Schulten und Müller zufolge ein „starker normativer Rahmen“ gesetzt, an dem sich die Mitgliedsstaaten in Zukunft messen lassen müssten.

Zudem sollen alle EU-Länder, in denen die Tarifabdeckung unter 70 Prozent liegt – das ist in 17 von 27 Ländern der Fall –, verpflichtet werden, einen nationalen Dialog zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften ins Leben zu rufen und konkrete Pläne zu entwickeln, wie der Geltungsbereich kollektiver Lohnfindung ausgeweitet werden kann. Dabei wird die unterstützende Rolle des Staates betont. 

In der Vergangenheit sei es mit dem „sozialen Europa“ meist nicht recht vorangegangen, schreiben Schulten und Müller, was an der strukturellen Asymmetrie der europäischen Integration liege: Während bestehende nationale Schutzvorschriften häufig mit Verweis auf die Freiheit des Binnenmarkts und mit Rückendeckung des Europäischen Gerichtshofs gestrichen wurden, scheiterten neue sozialpolitisch motivierte Regulierungen meist an den starken Interessengegensätzen der Mitgliedsstaaten. So sei es zu der paradoxen Situation gekommen, dass die Löhne aufgrund europäischer Regelungen vielerorts stark unter Druck stehen, die EU in Sachen Lohnpolitik aber keinerlei Handhabe hat. Vor diesem Hintergrund stelle die aktuelle Initiative der EU-Kommission eine Chance dar, die es zu nutzen gelte. 

Allerdings ist den Experten zufolge alles andere als sicher, dass der Kommissionsentwurf tatsächlich umgesetzt wird. Sie nennen vier Gründe, warum die Initiative noch scheitern könnte: 

  • Von den Arbeitgeberverbänden ist starker Widerstand zu erwarten. 
  • In Ländern wie Dänemark und Schweden, die eine hohe Tarifabdeckung, aber keinen Mindestlohn haben, ist die Skepsis groß. 
  • Politisch eher oder weit rechts orientierte Regierungen wie in Österreich, den Niederlanden, Polen und Ungarn haben bereits ihren Widerstand angekündigt. 
  • Schließlich steht noch die juristische Frage im Raum, ob die EU überhaupt befugt ist, Regelungen zur Lohnfindung zu erlassen. Der Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union sieht in Artikel 153 vor, dass die EU Bestimmungen erlassen kann, die die Arbeitsbedingungen betreffen. Darunter fällt der Vorschlag der Kommission etwa nach Auffassung der Juristen des Europäischen Rates. Aber es gibt auch andere Stimmen. 

Trotz der offenen Fragen sehen Schulten und Müller eine realistische Möglichkeit, dass der Vorschlag im kommenden Jahr unter französischer EU-Präsidentschaft umgesetzt wird. Dazu sei allerdings noch politische Unterstützung nötig – nicht zuletzt von Deutschland, dessen aktuelle Regierung in Brüssel bislang keine Position bezogen hat. 

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