Quelle: HBS
Böckler ImpulsMindestlohn: Milliardenschaden durch Mindestlohnumgehungen
Im Jahr 2016 summierten sich Lohnausfälle und Mindereinnahmen der Sozialversicherung durch Verstöße gegen den allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn auf rund 7,6 Milliarden Euro.
Rechnet man auch Umgehungen von allgemeinverbindlichen Branchenmindestlöhnen hinzu, ergibt sich sogar eine Gesamtsumme von etwa 9,9 Milliarden Euro. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie des WSI auf Basis des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP).
„Durch die weit verbreiteten Mindestlohnumgehungen werden nicht nur die betroffenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer geschädigt, sondern auch die Allgemeinheit. Endlich die Kontrollen zu verbessern, ist also von höchstem öffentlichen Interesse“, so WSI-Arbeitsmarktforscher Toralf Pusch. Seine Untersuchung ergänzt eine Studie, die er Ende Januar vorgelegt hat, und korrigiert einen Fehler in den damaligen Berechnungen. Nach der neuen Auswertung bekamen 2016 rund 2,2 Millionen Beschäftigte in Deutschland weniger als den allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn, obwohl er ihnen zustand. Betroffen waren damit etwa acht Prozent aller Arbeitnehmer. Legale Ausnahmen vom Mindestlohn sind dabei bereits herausgerechnet. In der ursprünglichen Veröffentlichung vom Januar waren die Zahl der Betroffenen mit 2,7 Millionen und die Quote mit knapp zehn Prozent angegeben. Der Grund für die Abweichung liegt in der Zuordnung von Überstunden.
Auch die Neuberechnung zeigt sehr deutlich, dass sich Unternehmen mit Tarifvertrag und Betriebsrat weitaus konsequenter ans Mindestlohngesetz halten als Firmen, in denen beides fehlt. Im ersten Fall gaben lediglich 1,8 Prozent der Beschäftigten an, weniger als den Mindestlohn erhalten zu haben. Dagegen waren es in Betrieben ohne Tarif und Mitbestimmung 15,6 Prozent, also fast neunmal so viele.
Die 2,2 Millionen Menschen, denen der gesetzliche Mindestlohn 2016 vorenthalten wurde, haben den Berechnungen zufolge im Schnitt 251 Euro monatlich zu wenig erhalten. Damit summieren sich die Brutto-Lohnausfälle auf 6,5 Milliarden Euro im Jahr. Da auf die niedrigere Lohnsumme weniger Sozialabgaben anfallen, entgingen den Sozialversicherungen rund 2,8 Milliarden Euro, von denen rund 1,1 Milliarden Euro auf Arbeitgeberbeiträge entfielen. Insgesamt beläuft sich der Ausfall für Beschäftigte und Sozialkassen auf 7,6 Milliarden Euro.
Umgehungen gibt es auch in Branchen, die über einen allgemeinverbindlich erklärten Mindestlohn verfügen. Auf Basis der SOEP-Daten kommt Pusch auf gut 750 000 Betroffene in diesen Branchen, denen 2016 rund zwei Milliarden Euro an Lohn vorenthalten wurden. Den Sozialkassen entgingen etwa 820 Millionen Euro. Nach Abzug der Arbeitnehmerbeiträge ergibt sich ein Ausfall für Beschäftigte und Sozialkassen in Höhe von insgesamt circa 2,3 Milliarden Euro.
Toralf Pusch: Lohnausfälle und entgangene Sozialbeiträge durch Mindestlohnumgehungen (pdf), WSI Policy Brief 23, März 2018