Quelle: HBS
Böckler ImpulsGeschlechterquote: Mehr Unternehmen einbeziehen
Deutschland schneidet im Vergleich zu anderen europäischen Ländern, die eine Geschlechterquote für Führungspositionen in Unternehmen haben, schlecht ab.
Zehn von 31 europäischen Ländern verfügen über gesetzlich bindende Regeln, die für mehr Geschlechtergerechtigkeit in Führungsgremien von Unternehmen sorgen sollen. Laut einer neuen I.M.U.-Analyse ist die gesetzliche Geschlechterquote in Deutschland davon die schwächste. Die Empfehlung der Autorinnen und Autoren: Der Gesetzgeber sollte die Quote auf alle börsennotierten und staatlich kontrollierten Unternehmen ausdehnen, auch Vorstände einbeziehen und für schärfere Sanktionen sorgen. Bislang gelten die Vorgaben nur für Aufsichtsräte von zugleich börsennotierten und paritätisch mitbestimmten Unternehmen. Laut I.M.U.-Expertin Marion Weckes lässt das Kriterium „paritätisch besetzter Aufsichtsrat“ alle Unternehmen ohne Arbeitnehmermitbestimmung außer Betracht. Sinnvoller sei deshalb die Vorgabe „ab 2000 Beschäftigte“, um alle Unternehmen ab einer bestimmten Größenordnung zu erfassen. Mehr Geschlechtergerechtigkeit bei der Besetzung von Führungspositionen sei nicht nur eine Aufgabe von paritätisch mitbestimmten Unternehmen.
Im Rahmen der Studie wurde für die 27 EU-Länder sowie Großbritannien, Norwegen, Island und die Türkei ermittelt, ob es verbindliche Regeln für mehr Geschlechterdiversität auf den Führungsetagen von Unternehmen gibt und wie stark diese Regeln ausfallen. Das Ergebnis: Zehn Staaten – acht osteuropäische EU-Mitglieder sowie Zypern und Malta – verfolgen dieses Ziel auf politischer Ebene gar nicht. Elf weitere belassen es bei rechtlich unverbindlichen Empfehlungen.
Rechtlich bindende Quoten für mehr Geschlechtergleichstellung an der Unternehmensspitze besitzen zehn Länder. Die laut der Analyse wirksamste Regelung hat Norwegen. Auf einer für die Studie entwickelten Skala, die unter anderem misst, wie hoch die Quote ist, für welche Unternehmen und Gremien sie gilt und wie stark die Konsequenzen bei Missachtung sind, erreicht Norwegen 4,1 von 5 Punkten. Es folgen, teilweise mit erheblichem Abstand, Italien auf Rang zwei, dann Portugal, Spanien, Belgien, Frankreich, Island, Österreich und die Niederlande.
Deutschland befindet sich mit einem Indexwert von 1,85 auf dem zehnten Platz. Zwar sieht die deutsche Quote, anders als etwa die isländische oder die spanische, Sanktionen bei Missachtung vor. Doch sind diese nach Bewertung der Autorinnen und Autoren relativ milde. Deutliche Abstriche im Ranking gibt es, weil die deutsche Quote mit 30 Prozent niedriger ist als in anderen Ländern, weil sie nicht für Vorstandsposten gilt und weil sie aktuell lediglich 107 Unternehmen einbezieht, die sowohl börsennotiert als auch paritätisch mitbestimmt sind.
Anna-Lena Karl, Sebastian Schwidder, Jörg Weingarten, Marion Weckes: Ambition oder Symbolpolitik? Europäische Geschlechterquoten für Führungspositionen im Vergleich, Mitbestimmungsreport Nr. 59, Mai 2020