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Mehr Koordination, stabileres Wachstum Böckler Impuls

Euroraum: Mehr Koordination, stabileres Wachstum

Ausgabe 20/2019

Eine Reihe wirtschaftspolitischer Vorschläge zur Stabilisierung des Euroraums liegt auf dem Tisch – von einer Goldenen Regel für mehr Investitionen bis zur europäischen Arbeitslosenversicherung. Das IMK hat untersucht, wie sie wirken würden.

Noch immer ist die Währungsunion „strukturell äußerst fragil“, so die Einschätzung von Experten des IMK und der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES). Zwar habe die Geldpolitik zur Überwindung der jüngsten Krise einiges geleistet, doch noch immer fehle das Gegenstück: finanzpolitische Instrumente für eine nachhaltige Stabilisierung des Euroraums, heißt es in der von der FES geförderten Studie. Dabei wären gerade jetzt die EU-Finanzminister gefragt – in einer Situation, in der die Geldpolitik ihre Mittel mit einem Leitzins von Null weitgehend ausgeschöpft hat. 

 

Der Investitionsmisere wäre beispielsweise mit einer Finanzpolitik nach der Goldenen Regel beizukommen. Das heißt, die allgemeine Sparsamkeit müsste der Einsicht weichen: Was sich in der Zukunft auszahlt, kann selbstverständlich auch mit Krediten finanziert werden, die erst später ­getilgt werden. Ebenfalls stabilisierenden Charakter könnten Löhne haben, die sich stärker am Verteilungsspielraum orientieren. Weitere Ansätze: Eine europäische Arbeitslosenversicherung könnte im Fall wirtschaftlicher Rückschläge stabilisierend wirken. Mit einem gemeinsamen Budget auf Euro-Ebene ließe sich Krisen durch eine antizyklische Ausgabenpolitik entgegenwirken. Eine Mindestbesteuerung von Unternehmensgewinnen könnte unfairen Wettbewerb verhindern und die öffentlichen Haushalte vor dem Ausbluten bewahren. Aber wie genau würden sich diese Vorschläge volkswirtschaftlich auswirken? Das haben die Wissenschaftler mit einer Simulationsstudie untersucht. Dazu nutzten sie ein komplexes mathematisches Modell der Weltwirtschaft, das beispielsweise auch von Zentralbanken verwendet wird und in das eine Vielzahl von Wirtschaftsindikatoren einfließt. 

 

Goldene Regel 

 

Die öffentlichen Investitionen spielen für die wirtschaftliche Entwicklung eine entscheidende Rolle. Allerdings sieht es in Europa recht mau aus, was Ausgaben für Schienen, Straßen und Schulen angeht. Netto, also abzüglich des Wertverfalls durch Abnutzung, liegen sie in Deutschland und Frankreich seit einigen Jahren nahe Null. In Italien und Spanien schrumpft der sogenannte öffentliche Kapitalstock sogar. Insgesamt liegen die staatlichen Investitionen in der Währungsunion heute rund 20 Prozent unter dem Wert von 2009. Eine Folge der Sparpolitik, die mit Instrumenten wie Schuldenbremse und Fiskalpakt zur höchsten wirtschaftspolitischen Maxime erhoben wurde. 

 

Hätte Deutschland, anstatt der schwarzen Null hinterherzuhecheln, 2011 begonnen, jährlich kreditfinanzierte öffentliche Investitionen im Umfang von 1,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts aufzulegen, wäre die Wirtschaft seitdem stärker gewachsen. Laut IMK-Simulation hätte sich dies ab dem Jahr 2014 in einem um gut 38 Milliarden Euro höheren Bruttoinlandsprodukt (BIP) niedergeschlagen. Weitere Folgen wären eine Verringerung des international häufig kritisierten deutschen Handelsüberschusses und eine niedrigere Arbeitslosenquote gewesen. Auch die übrigen Euroländer hätten ökonomisch profitiert. Dabei wäre die deutsche Schuldenquote nicht einmal gestiegen, weil die Wirtschaftsleistung stärker zugenommen hätte als das Kreditvolumen. Hätte der gesamte Euroraum nach der Goldenen Regel – Investitionen werden über Kredite finanziert – gehandelt, wären die Effekte noch stärker. Bei den vier größten Volkswirtschaften läge das BIP am Ende des Simulationszeitraums zwischen 1,6 und 4,1 Prozent höher, als es sich tatsächlich entwickelt hat.

Lohnpolitik


Eine ebenso zentrale ökonomische Größe ist die Lohnentwicklung. Von ihr hängt ein entscheidender Teil der Nachfrage ab, sie hat aber auch Einfluss auf die internationale Wettbewerbsfähigkeit. Die Frage der Forscher: Was wäre geschehen, wenn es den Arbeitnehmern im Euroraum gelungen wäre, in den Jahren 2011 bis 2017 den Verteilungsspielraum auszuschöpfen, also „stabilitätsgerechte“ Lohnsteigerungen durchzusetzen, die der Summe von Produktivitätsfortschritt und Preissteigerung entsprechen? Ergebnis: Auch dadurch wäre die Wirtschaftsleistung des Euroraums ein wenig höher ausgefallen. Wobei dies nicht in allen Ländern eine andere Lohnpolitik erfordert hätte. Während sich die Löhne in Frankreich und Italien weitgehend stabilitätskonform entwickelten, waren die Zuwächse in Deutschland zu schwach und in Spanien zu hoch. 


Aufschlussreich ist zudem ein anderes Simulations­ergebnis: Wären die übrigen Länder im ersten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts dem deutschen Beispiel gefolgt und hätten ähnlich geringe Lohnsteigerungen erlebt, hätte sich die Wirtschaft schwächer entwickelt als real. 


Europäische Arbeitslosenversicherung


Eine europäische Arbeitslosenversicherung könnte sich aus Beiträgen der Mitgliedsländer speisen und von wirtschaftlichen Schocks betroffenen Ländern Mittel zur Verfügung stellen. Für ihre Simulation nehmen die Forscher an, dass die Mitgliedsstaaten 0,1 Prozent ihrer Wirtschaftsleistung in einen Fonds einzahlen, der betroffenen Ländern 13,5 Prozent des durchschnittlichen Arbeitnehmerentgelts je Arbeitslosem zur Verfügung stellt. Von einem solchen Modell hätten das Wachstum in Deutschland in den Jahren 2005 und 2006 sowie die italienische Wirtschaft von 2012 bis 2014 und vor allem die spanische von 2009 bis 2014 profitiert. In Spanien hätte sich die stabilisierende Wirkung des Fonds beim BIP bis 2017 auf über 130 Milliarden Euro summiert. 


Euroraumbudget


Ebenfalls positive Wachstumseffekte hätte ein gemeinsames Budget, das für eine antizyklische europäische Finanzpolitik zur Verfügung stünde. Zwar zeigen die Simulationen der Ökonomen, dass die stabilisierenden Effekte bei einer zu einfachen Ausgestaltung geringer ausfielen als im Falle einer europäischen Arbeitslosenversicherung. „Dies macht die Einführung eines wirkungsvolleren Euroraumbudgets aber nicht obsolet.“ 


Mindestbesteuerung von Unternehmen


Ein Wettlauf um die niedrigsten Unternehmenssteuern schadet letztlich allen, das hat die Politik inzwischen erkannt. So wird auf europäischer und OECD-Ebene an Konzepten gefeilt, die für eine Mindestbesteuerung sorgen und Gewinnverlagerungen für Unternehmen unattraktiver machen. Ein relativ weitreichender Vorschlag besteht darin, die Steuersätze in Niedrigsteuerländern auf den OECD-Durchschnitt anzuheben. Was diese Maßnahme für den Euroraum bedeuten würde, haben die Forscher ebenfalls im Modell durchgespielt. Höhere Gewinnsteuern wären dann vor allem in den Niederlanden und Irland fällig. Werden die höheren Steuereinnahmen zur Finanzierung öffentlicher Investitionen genutzt, stehen nach den Ergebnissen der Wissenschaftler selbst diese Länder am Ende besser da. 


Die Forscher fassen ihre Erkenntnisse so zusammen: „Besonders eine Erhöhung der öffentlichen Investitionen im Rahmen der Goldenen Regel in den Zeiten der Eurokrise hätte für die großen europäischen Volkswirtschaften eine erhebliche stabilisierende Wirkung gehabt.“ Die Untersuchung zeige weiter, „dass eine koordinierte europäische Lohnpolitik, die sich am Produktivitätsfortschritt und der Zielinflationsrate der EZB orientiert, die wirtschaftliche Entwicklung stabilisieren kann und das hätte gleichzeitig das Einkommen einer Mehrzahl von Haushalten erhöht“, für die der wesentliche Teil des Einkommens vom Faktor Arbeit abhängt. Für schwere Rezessionsphasen bedürfe es außerdem „europäischer Politikinstrumente zur Stabilisierung. Besonders die stabilisierende Wirkung einer europäischen Arbeitslosenrückversicherung wäre groß. Dagegen dürfte das bereits verabschiedete Euroraumbudget kaum stabilisierende Effekte haben, da es zum einen zu klein ist und zum anderen nicht antizyklisch wirken kann.“ Und eine Vereinheitlichung der Unternehmenssteuern hätte selbst in den Ländern mit den niedrigsten Steuersätzen der EU keine negativen Auswirkungen auf das BIP.

Alexander Behrend, Katja Gehr, Christoph Paetz, Thomas Theobald, Sebastian Watzka: Europa kann es besser: Wirtschaftspolitische Szenarien für stabileres Wachstum und mehr Wohlstand (pdf), Friedrich-Ebert-Stiftung, Dezember 2019

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