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HBS Böckler Impuls

Arbeitsmarkt: Mehr Flexibilität, weniger Arbeitsplätze

Ausgabe 02/2007

Zwei Jahrzehnte Deregulierungspolitik haben tiefe Spuren hinterlassen - aber nicht die erhofften Arbeitsplätze gebracht. Der Arbeitsmarkt funktioniert offensichtlich nicht so, wie es die Deregulierungshypothese unterstellt.

Der deutsche Arbeitsmarkt ist flexibler geworden - fast alle Stellgrößen wurden in den vergangenen zwei Jahrzehnten gelockert. Die erhofften neuen Jobs hat die Flexibilisierung jedoch nicht gebracht, so Hartmut Seifert, Leiter des WSI, in einer Überblicksstudie. Zu mehr Beschäftigung führte erst die anziehende Binnennachfrage 2006. Statt zusätzlicher Arbeitsplätze schuf die Deregulierung vielmehr neue Probleme - mehr Niedriglöhne, prekäre Arbeitsverhältnisse und eine Erosion der sozialen Sicherungssysteme. Seiferts Fazit: Der Arbeitsmarkt funktioniert offensichtlich nicht so, wie es die Vertreter der Deregulierungshypothese annehmen.

Die Welle der Deregulierung begann 1985 mit einer Lockerung der befristeten Jobs, und sie hält bis heute an:

=> Die Arbeitszeit ist mit dem Arbeitszeitgesetz von 1994 weitgehend liberalisiert worden. Es kann seitdem bis zu 60 Stunden in der Woche gearbeitet und rund um die Uhr produziert werden. Das hat die Kapitalkosten gesenkt. In drei von vier Betrieben gibt es Arbeitszeitkonten, sodass je nach betrieblichem Bedarf flexibel gearbeitet werden kann. Überstundenzuschläge fallen weg. Es vollzog sich, so Seifert, ein "Modellwechsel von der mehr oder minder starren Normalarbeitszeit hin zu einer variabel verteilten Regelarbeitszeit".

=> Die Reichweite der Tarifverträge nimmt ab. Immer weniger Beschäftigte (West 59 Prozent, Ost 42 Prozent) arbeiten auf dem Boden von Flächentarifverträgen. Der schrumpfende Bereich tarifgebundener Betriebe gerät unter den Druck der tariffreien Konkurrenz. Die Verträge werden zudem durch Öffnungsklauseln zunehmend porös. Betriebliche Bündnisse schaffen weitere Formen interner und externer Flexibilisierung.

=> Die Lohnersatz-Leistungen für Arbeitslose sind im Zuge der Hartz-Gesetze so herabgesetzt worden, dass auch schlecht bezahlte Jobs attraktiv erscheinen sollen. Der Qualifikationsschutz bei der Definition zumutbarer Arbeit  wurde 2005 völlig aufgegeben.

=> Der Geltungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes ist 2004 eingeschränkt worden. Es gilt nur noch in Betrieben mit mehr als zehn Beschäftigten.

=> Die Möglichkeiten atypischer Beschäftigung wurden erweitert. So dürfen befristete Verträge ohne Sachgrund für bis zu zwei Jahre abgeschlossen werden, in neuen Unternehmen sogar für bis zu vier Jahre. Weitere Formen wurden stark forciert: die Minijobs und die Leiharbeit ohne Grenze der Überlassungsdauer.

=> Erst die Binnennachfrage brachte neue Jobs

Angesichts der stattlichen Summe der Deregulierungsbemühungen sei fraglich, so Seifert, warum die prognostizierte Beschäftigungsreaktion ausgeblieben ist und die Arbeitslosenquote bis etwa Ende 2005 weiter anstieg. Seine Folgerung: Zwischen dem Regelwerk für den Arbeitsmarkt und der Beschäftigungsentwicklung besteht kein eindeutiger Zusammenhang. Anders als von der neoklassischen Arbeitsmarkttheorie unterstellt seien Regelungen zum Schutz von Arbeitnehmern "nicht als Hindernis für mehr Beschäftigung anzusehen". Aktuelle Studien der OECD belegen diese These. Während in Deutschland die Flexibilisierung keine neuen Jobs brachte, erlebten andere Länder ganz unterschiedliche Entwicklungen. So sank in Spanien die Arbeitslosigkeit von 18,4 Prozent 1994 auf nur noch 9,2 Prozent 2005, ohne dass der stark regulierte Arbeitsmarkt merklich reformiert wurde. Die OECD schließt aus solchen Fällen: Verschiedene beschäftigungspolitische Konzepte können zu einer günstigen Beschäftigungssituation führen. Nicht nur angelsächsische Volkswirtschaften haben eine geringe Arbeitslosigkeit, auch skandinavische Staaten mit zentralisierten Tarifverhandlungen, hohen Steuersätzen und strikten Regeln verbuchen beschäftigungspolitische Erfolge - noch dazu ohne soziale Nebenwirkungen.

In Deutschland hat die Flexibilisierung des Arbeitsmarktes zwar die preisliche Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen auf dem Weltmarkt so verbessert, dass sie einen Exportrekord nach dem anderen erzielen konnten. Lange Zeit hat dennoch das Wirtschaftswachstum die Schwelle nicht überschritten, ab der neue Jobs entstehen. Erst 2006 hat eine gestiegene Binnennachfrage wieder den Arbeitsmarkt in Bewegung gebracht. Auch das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) erklärt den aktuellen Aufwärtstrend der Konjunktur in seiner Herbstprognose mit der stärkeren Güternachfrage. Der Aufschwung könne nicht den Arbeitsmarkt-Reformen zugesprochen werden, so das IMK. Wären diese der Hauptgrund für die wirtschaftliche Erholung, hätte zunächst die Beschäftigung zunehmen müssen, dann erst die Produktion. Das war jedoch nicht der Fall.

=> Niedriglöhne und zu wenig Weiterbildung

Weitaus deutlicher als die Effekte auf die Beschäftigung sind die negativen Folgen der Deregulierung für die soziale Sicherung und das Einkommen der Beschäftigten - und auch für das Humankapital der Gesamtwirtschaft, so Seifert.

Die Flexibilisierung hat dazu beigetragen, die Lohnentwicklung zu dämpfen und die Lohnstruktur zu spreizen. Die Tarifparteien schöpfen ohnehin den verteilungsneutralen Spielraum nicht aus: Deutschland verzeichnete von 2000 bis 2005 den geringsten Lohnanstieg aller EU-Länder, im vergangenen Jahrzehnt war es neben Österreich das "lohnpolitische Schlusslicht". Noch weiter bleiben jedoch die Effektivlöhne zurück. Geringfügige Beschäftigung, unterschrittene Tarife und verkürzte Arbeitszeit sowie der Wegfall übertariflicher Zahlungen und Überstundenzuschläge - all dies drückt das Lohnniveau und forciert die negative Lohndrift.

Gerade die unteren Löhne sind stark differenziert worden. Bei der Lohnspreizung nach unten übertrifft Deutschland den EU-Durchschnitt deutlich und hat selbst Großbritannien hinter sich gelassen. Der Anteil der Niedriglöhner wächst - unter den Vollzeitbeschäftigten von 15,9 Prozent in 1997 auf 18,6 Prozent 2004. Bezieht man die Teilzeitkräfte mit ein, bekommen etwa 21 Prozent aller Beschäftigten nur einen Niedriglohn. Auch das ist eine Folge der Deregulierung: Die Stundenlöhne von befristet Beschäftigten, von Leiharbeitern und Minijobbern liegen häufiger unter der Niedriglohnschwelle von zwei Dritteln des mittleren Arbeitsentgeltes.

Die Deregulierung spaltet die Belegschaften. Zwischen den atypisch Beschäftigten und jenen in Normalarbeitsverhältnissen verläuft eine markante Trennlinie, so Seifert. Die Beschäftigten außerhalb der Kernbelegschaft haben weniger soziale Sicherheit und ein kleineres Einkommen, außerdem sind sie bei der betrieblich-beruflichen Weiterbildung und Karrierechancen benachteiligt. Seit 1997 gehen die Weiterbildungsaktivitäten in den Betrieben zurück, beobachtet der Leiter des WSI. Das führt er "zu einem nicht unerheblichen Teil auf die Zunahme atypischer Beschäftigungsverhältnisse" zurück. Die Qualifizierungslücke vergrößere sich zusätzlich, weil im Zuge der Hartz-Gesetze auch die öffentliche Weiterbildungsförderung drastisch reduziert wurde. Es schade der gesamten Wirtschaft langfristig, wenn ein großer Teil der Beschäftigten von der betrieblichen Weiterbildung ausgeschlossen bleibt. Seifert warnt vor einer dauerhaften "Unterinvestition in Humankapital".

Ein flexibler Arbeitsmarkt kann besser den Strukturwandel bewältigen und auf externe Schocks reagieren. Aber Deregulierung allein ersetzt noch keine umfassende Beschäftigungspolitik, erklärt der Wissenschaftler.

Es gelte, betrieblichen Flexibilisierungsbedarf zu berücksichtigen, ohne die Sicherungsbedürfnisse der Beschäftigten zu vernachlässigen. Darum sollten Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik bei Reformen enger abgestimmt werden, wie es das Konzept der Flexicurity vorsieht. Beschäftigungspolitisch erfolgreiche Länder wie Dänemark und die Niederlande zeigen, wie das aussehen kann: Sie verbessern die Beschäftigungsfähigkeit durch Weiterbildung und räumen interner Flexibilität Vorrang vor externer ein.

  • Hohe Erwerbsquote, hohe Erwerbsbeteiligung, niedrige Arbeitslosigkeit - Nordeuripäer machen's vor. Zur Grafik
  • Betriebe können auch ohne hire and fire flexibel sein. Zur Grafik

Hartmut Seifert: Was hat die Flexibilisierung des Arbeitsmarktes gebracht? in: WSI-Mitteilungen 11/2006.

Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung: Der Aufschwung - schon vorbei?, in: IMK Report Nr.14 Oktober 2006.

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