Quelle: HBS
Böckler ImpulsGender: Maßstab für gerechte Bezahlung
Frauenberufe sind häufig schlechter bezahlt als Männerberufe. Das liegt keineswegs an geringeren Arbeitsanforderungen, wie detaillierte Analysen von Jobprofilen zeigen.
Im Schnitt verdienen Frauen ein Fünftel weniger als Männer. Das ist unbestritten. Wenn es um die Gründe für diesen sogenannten Gender Pay Gap geht, scheiden sich jedoch die Geister. Häufig wird darauf verwiesen, dass zumindest Teile des Verdienstunterschiedes durch unterschiedliche Jobprofile, Ausbildungsniveaus, Arbeitszeiten oder Differenzen bei Führungsverantwortung und Berufserfahrung begründet seien. Je nach Berechnung schrumpft der verbleibende Lohnabstand deutlich. Insbesondere arbeitgebernahe, neoklassisch argumentierende Ökonomen betrachten die Lohnstruktur als marktgerecht, sie spiegle lediglich Produktivitätsunterschiede wider.
Das ist jedoch zu kurz gedacht, erläutert Sarah Lillemeier von der Universität Duisburg-Essen, die in einem Kooperationsprojekt unter Leitung von WSI-Forscherin Christina Klenner und Ute Klammer die Schwachstellen in den üblichen Analysen des Gender Pay Gaps untersucht. In den Erklärungsfaktoren der Entgeltlücke stecken selbst diskriminierende Elemente, so Lillemeier. Verdienstunterschiede zwischen weiblich und männlich dominierten Berufen seien historisch gewachsen und keinesfalls automatisch geschlechtsneutral. Wenn sich Männerberufe zu Frauenberufen gewandelt haben, war dies in der Geschichte meist mit einer Verschlechterung der Einkommensposition oder einem Absinken der Einkommen verbunden. Um das Ausmaß ungleicher Arbeitsbewertungen aufgrund des Geschlechts zu erfassen, taugt der neoklassische Ansatz also wenig.
Die Wissenschaftlerin verwendet ein Verfahren, mit dem die Arbeitsanforderungen und Belastungen in verschiedenen Berufen präzise erfasst und damit vergleichbar gemacht werden. Hierzu hat sie den Comparable-Worth-Index entwickelt, der Arbeitsinhalte detailliert und geschlechtsneutral abbildet. Im Gegensatz zu vielen anderen Verfahren der Arbeitsbewertung gehen zum Beispiel auch psychosoziale Anforderungen wie Kooperationsfähigkeit und Einfühlungsvermögen ein oder die Verantwortung für das Wohlergehen anderer Menschen. In 21 Kategorien werden Punkte vergeben – deren Summe zeigt am Ende, wie anspruchsvoll der jeweilige Job wirklich ist. Anhand von Befragungsdaten des Bundesinstituts für Berufsbildung und der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin lassen sich so eine Reihe von Berufen vergleichbar machen.
Dabei zeigt sich: In weiblich dominierten Berufen sind die Verdienste meist niedriger als in typischen Männerberufen mit demselben Indexwert. Ein Beispiel: Lokführer und medizinisch-technische Assistentinnen fallen Lillemeiers Auswertung zufolge in dieselbe Kategorie; die Berufe sind ähnlich anspruchsvoll. Die Stundenlöhne im Männerberuf Lokführer sind jedoch im Schnitt höher. Insgesamt werden in 63 Prozent der Frauenberufe Entgelte gezahlt, die unter dem Durchschnitt aller Berufe mit vergleichbaren Arbeitsanforderungen liegen.
Die Ergebnisse der Studie unterstützen die sogenannte Devaluationshypothese, stellt die Forscherin fest: Trotz gleichwertiger Anforderungen wird in Frauenberufen weniger bezahlt. Der Comparable-Worth-Index könnte ein Werkzeug sein, um solche Ungleichbewertungen systematisch aufzuspüren und damit blinde Flecken in der Analyse des Gender Pay Gaps sichtbar zu machen.
Sarah Lillemeier: Der Comparable-Worth-Index als Instrument zur Analyse des Gender Pay Gap, WSI-Working-Paper Nr. 205 (pdf), Oktober 2016